Effizienz vor Menschlichkeit - Durch Self-Tracking zur Entmenschlichung
Gastbeitrag --- Der moderne Mensch muss funktionieren: Wir tracken unsere Essgewohnheiten, zählen Schritte und überwachen Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung und wie erholsam unser Schlaf war. Auch wenn manche dieser Technologien ihren Ursprung in Krankheiten haben und Betroffenen helfen können, ein besseres Leben zu leben, scheinen Self-Tracking-Technologien längst ihren medizinischen Nutzen überstiegen zu haben.
Auch wenn herzkranke Patientinnen und Patienten davon profitieren können, die eigene Herzfrequenz über eine Smartwatch zu tracken, stellt sich bei vielen Nutzerinnen und Nutzern Stress durch das Gefühl der konstanten Überwachung ein. Mehr und mehr Personen berichten davon, aktiv das Tracken ihrer Herzfrequenz zu stoppen, da ihnen aufgefallen ist, dass sich durch das Self-Tracking eine erhöhte Herzfrequenz eingestellt hat, die sie sonst nicht haben. Diese Gefühle der Angst und Verunsicherung sind ein Symptom der konstanten Selbstoptimierung, die sich als einer der Grundsteine des Technikdiskurses entpuppt hat. Aber wie gesund – und wie menschlich – ist ein solches Herangehen?
Das Problem der ständigen Selbstüberwachung ist, dass ihr Grundgedanke darauf ansetzt, einen effizienteren Menschen zu erschaffen. Das Tracking meines Schlafes kann einerseits natürlich helfen, dass ich mich am nächsten Morgen besser fühle, allerdings scheint die andere Seite zu sein, meinen Schlaf so effizient wie möglich zu gestalten: Ich tracke mich selbst, um meinen optimalen Schlafrhythmus zu finden, damit ich am nächsten Tag so effizient wie möglich funktionieren kann. Durch diesen Gedankengang wird der Mensch zur Maschine reduziert. Rein menschliche Qualitäten, die uns auszeichnen, wie Kreativität und Freiheit, treten in den Hintergrund und stattdessen wird eine maschinelle Quantität – die der Effizienz und quantifizierten Optimierung – am Menschen angewendet.
Der digitale Humanismus stellt sich gegen dieses Verständnis vom Menschen als Maschine; stattdessen wird sich die Frage gestellt: Welche Eigenschaften machen den Menschen aus, wenn Maschinen immer intelligenter werden? Während die Aufklärung die Vernunft als zentralen Aspekt des Menschseins sah, wird im digitalen Humanismus die Kreativität, die moralische Urteilsfähigkeit und die individuelle Ausdrucksfähigkeit betont. Denn während Maschinen komplexe Berechnungen ausführen und rationale Entscheidungen treffen können, bleibt die Fähigkeit zu Empathie, ethischer Reflexion und Ko-Kreativität eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Self-Tracking-Technologien, in ihrer derzeitigen Ausführung, stärken keine dieser einzigartigen menschlichen Eigenschaften mehr, sondern sie verstärken eine Entmenschlichung hin zu rein produktiv arbeitenden Akteurinnen und Akteuren.
Doch wie kann einem solchen Problem vorgebeugt werden? Der digitale Humanismus macht klar, dass der Mensch wieder ins Zentrum der Technologieentwicklung – und -benutzung gerückt werden muss. Um einem solchen Entmenschlichen entgegenzuwirken, wie sie durch Self-Tracking-Technologie gefördert wird, sollte sich bei jedem Anwendungsfall klar die Frage gestellt werden, ob die Technologie hier ein Hilfsmittel für den Menschen ist oder ihn nur zu mehr Effizienz zwingen soll.
Ein jeder und eine jede sollte bei der Nutzung kritisch reflektieren, aus welchen Gründen er sich selbst überwachen möchte und somit die eigene Technologienutzung im Sinne des digitalen Humanismus hinterfragen. Der digitale Humanismus erinnert uns daran, dass Technologie kein Selbstzweck ist. Die Zukunft der digitalen Gesellschaft muss daher an den Grundwerten der Autonomie, Verantwortung und kreativen Freiheit ausgerichtet sein. Nur so kann Digitalisierung im Dienste der Menschlichkeit stehen und eine lebenswerte Zukunft für alle sichern.
Zu den Personen:
Dr. Alexander Schmölz ist Professor für digitalen Humanismus an der Fachhochschule des BFI Wien und geschäftsführender Leiter des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung, Researcher-in-Residence von fit4internet und Chefredakteur der wissenschaftlichen Zeitschrift Digital Culture & Education (DCE). Er forscht und lehrt zu den Themen Humanismus und Digitalisierung mit besonderem Fokus auf Inklusion, Ko-Kreativität und Kompetenzen in der allgemeinen und beruflichen Bildung sowie förderliche didaktische und politische Rahmenbedingungen. Neben seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit ist er seit 20 Jahren in nationale und internationale Entwicklungsprojekte involviert, in denen es um die Digitalisierung von allgemeiner und beruflicher Bildung und um die Förderung von digitalen und didaktischen Kompetenzen geht.
Pia-Zoe Hahne ist Researcherin für Digitalen Humanismus an der Fachhochschule des BFI Wien und Doktorandin an der philosophischen Fakultät der Universität Wien. Zudem ist sie Teil des Editorial Boards des akademischen Journals Digital Culture and Education. Ihre Arbeit fokussiert auf Technikphilosophie, KI-Ethik und das Verhältnis zwischen gesellschaftlichen Akteur:innen und künstlicher Intelligenz. Sie hält einen MSc in Cultures of Arts, Science and Technology von der Universität Maastricht.
Service: Dieser Gastbeitrag ist Teil der Rubrik "Nachgefragt" auf APA-Science. Die inhaltliche Verantwortung liegt beim Autor/der Autorin.