Psychotherapieforscherin: Trauma ist ein "Teufelskreis"
Traumata haben "viele unterschiedliche Gesichter" und bilden meist einen "Teufelskreis", sagte Erzsébet Fanni Tóth, die das Institut für transgenerationale Traumaübertragungsforschung an der Sigmund Freud Privatuniversität Wien (SFU) leitet, im APA-Gespräch. Ihre teils schwerwiegenden und langfristigen Folgen sowie ihre Behandlung werden dabei ein Thema beim Weltkongress für Psychotherapie sein, der von 16. bis 19. Juli an der SFU in Wien stattfindet.
"In der Psychologie und der Psychotherapie verstehen wir Trauma nicht als ein bestimmtes Ereignis, sondern als die emotionale Reaktion darauf", sagte Tóth. Von Trauma sei dann die Rede, wenn diese emotionale Reaktion lang anhaltende Effekte, wie u. a. starke Angst, Flashbacks oder Albträume oder somatische Symptome wie etwa unerklärliche Migräne oder Verdauungsbeschwerden zur Folge hat. Es kann durch bestimmte Ereignisse, aber auch durch länger andauernde belastende Situationen ausgelöst werden, wie etwa das Aufwachsen als Teil einer gesellschaftlichen Minderheit.
Langfristige Auswirkungen des Amoklaufs in Graz
Nach traumatischen Ereignissen wie dem Amoklauf an einer Grazer Schule im Juni sei es für Betroffene entscheidend, mit ihren Gefühlen nicht alleine gelassen zu werden - dabei ist nicht relevant, ob ihnen zur Seite stehende Personen einen spezialisierten Abschluss haben. "Aber wir wissen aus der Forschung, dass solche Ereignisse sehr lange Auswirkungen haben", so Tóth.
"Direkt Betroffene, die vielleicht Albträume oder Flashbacks haben oder große Angst davor, ihre Kinder wieder in die Schule zu schicken, sollten auf jeden Fall professionelle Hilfe suchen", betonte Tóth. Denn ein unbehandeltes Trauma könne zu Depressionen, Angststörungen, aber auch Aggressionen und Gewalt innerhalb der Familie führen, erklärte die Forscherin mit Verweis auf Langzeitstudien. Zudem erhöhe es die Anfälligkeit für extremistische Ideologien.
Je früher eine Behandlung außerdem beginnt, desto höher seien die Chancen, einen gesunden Umgang mit dem Erlebten zu finden. "Deswegen sollten wir meiner Ansicht nach jetzt viel Geld in die professionelle Behandlung investieren", so die Forscherin.
Mitunter vielschichtige und generationenübergreifende Probleme
Traumata können auch innerhalb der Familie weitergegeben werden. "Das 20. Jahrhundert war alles andere als friedlich; was ältere Generationen während des Zweiten Weltkriegs erlebt haben, beeinflusst, wie sie ihre Kinder erzogen haben", so Tóth. In ihrer Forschung findet sie solche Situationen häufig bei jüdischen Familien in Osteuropa vor, die im Kommunismus einen anderen Nachnamen angenommen und somit auch ihre Identität verändert haben, ohne je darüber sprechen zu können.
Auch andere schwierige Gegebenheiten werden innerhalb von Familien oft nicht geteilt, wobei etwa "Survivor's Guilt" (dt.: Schuldgefühl des Überlebenden) oder die Schamgefühle von Tätern eine Rolle spielen.
Wenn das in Familien besonders ausgeprägt ist, wird es als "traumatische Atmosphäre" bezeichnet, erklärte Tóth. Normalerweise seien Eltern dann emotional nicht verfügbar und leicht wütend zu machen, während ihre Kinder nie lernen, eigene Gefühle zu erkennen. Diese Kinder bleiben dann eher in ungesunden Beziehungen, in denen sie wiederum Kinder bekommen.
"Das ursprüngliche Kriegstrauma hat sich bis dahin gewissermaßen Schicht für Schicht verändert", sagte sie weiter. Die Behandlung von betroffenen Personen und Familien sei dabei meist ein aufwendiger Prozess, der einen multimodalen und -professionellen Zugang erfordert.
Resilienz in unsicheren Zeiten stärken
"Aus der Sozialpsychologie wissen wir, dass unsere Generation im Vergleich zu vorangegangenen nicht mehr an eine bessere Zukunft glaubt - gerade im Hinblick auf den Klimawandel", so Tóth. Dies mache Menschen ängstlich und könne schon vorhandene Probleme verstärken. Ein Gegenmittel aus ihrer Sicht: Die eigene Resilienz durch Hobbys, das bewusste Erleben von Freude und die Pflege von gesunden Beziehungen zu anderen Menschen zu stärken.
Service: 10. Weltkongress für Psychotherapie, von 16. bis 19. Juli an der SFU Wien; Website und Programm unter https://www.wcp2025.at/index-en.html