Signalzubringer beschert Seeanemonen einen Bauch und Rücken
Damit der Mund nicht am Rücken wächst, werden bei "Zweiseitentieren" (Bilateria) wie Menschen, Fröschen und Fliegen früh in der Entwicklung sogenannte "BMP"-Signalstoffe bauchlastig verteilt. Der Zubringerdienst dafür ist uralt, berichten Wiener Forscher, auch wenn ihn nicht alle beibehalten haben. Er kommt nämlich gleichfalls in Seeanemonen vor, die sich über 600 Millionen Jahren unabhängig entwickelten, schrieben sie im Fachjournal "Science Advances".
Bei Seeanemonen kann man von außen keinen Bauch und keinen Rücken erkennen, sie haben aber trotzdem einen "bilateral-symmetrischen" Körperbau mit Rücken-Bauch-Achse, so die Forscher um Grigory Genikhovich vom Department für Neurowissenschaften und Entwicklungsbiologie der Universität Wien. Wie bei vielen Bilateria werden BMPs (Bone Morphogenetic Proteins) in Seeanemonen der Art Nematostella vectensis vom Eiweißstoff namens Chordin gepackt, transportiert und andernorts freigesetzt. Er fungiert dort als Shuttle-Dienst genau wie in Fliegen und Fröschen, so die Forscherinnen und Forscher in einer Aussendung.
Große Mengen an BMPs lassen Bauch wachsen
"Die Zellen im Embryo entwickeln sich abhängig von der BMP-Signalstärke in unterschiedliche Zelltypen", erklären sie: "Beispielsweise bildet sich in Wirbeltieren das zentrale Nervensystem (Gehirn und Rückenmark, Anm.) dort, wo die BMP-Signalaktivität am niedrigsten ist, Nieren bilden sich bei mittlerer Signalstärke, und die Haut des Bauches entsteht im Bereich maximaler BMP-Signalaktivität."
Die Forscher blockierten bei den Seeanemonen zunächst gänzlich die Chordin-Produktion in den Zellen. Daraufhin blieb die BMP-Signalübertragung aus, und die Bildung der Rücken-Bauch-Achse scheiterte, berichten sie. Die Signalübertragung war ebenso unterbrochen, wenn die Forscher den Seeanemonen anschließend eine künstlich an Membranen verankerte Chordin-Version spendierten, also quasi den Zubringer am Standplatz festketteten. Nur normal bewegliches Chordin konnte die BMP-Signalübertragung wieder aktivieren. Das zeigt, dass die BMP-Signalstoffe auch in den Seeanemonen auf ihren Transporter angewiesen sind. Der Mechanismus ist demnach "unglaublich alt", sagt David Mörsdorf, der die Untersuchungen maßgeblich durchgeführt hat.
Mechanismus ist alt, aber nicht allgegenwärtig
Er ist zwar offenbar sehr alt, aber manche Tiere wie zum Beispiel Fische nutzen ihn nicht, wie die Forscher erklären. Eine alternative Art, die BMP-Signale zu modulieren, funktioniert ebenfalls mit Chordin. Es kann das Auslesen in den Zellen auch blockieren, indem es BMP bindet - und nicht wie beim Transport gleich wieder freilässt.
Wie BMPs bei Menschen und anderen Säugetieren ihre Signalwirkung entfalten, ist noch nicht genau bekannt, erklärte Genikhovich der APA: "Sie sind schwierig zu erforschen, weil sich ihre Embryonen innerhalb der Mutter entwickeln und nicht wie die Eier etwa von Fröschen und Fischen außerhalb des Muttertiers." Bei Mäusen gebe es zwar erste Hinweise, dass Chordin die BMPs verteilt: Dies wurde in einer Maus-Zellschicht im Labor nachgewiesen. "Ob Säugetier-Chordin die BMPs aber im echten Maus- oder menschlichen Embryo shuttelt, ist meines Wissens bis jetzt noch unklar", sagte der Forscher.
Service: https://dx.doi.org/10.1126/sciadv.adu6347