Stichwort: ME/CFS, Post Covid, PEM, PAIS
Mit der Corona-Pandemie sind aufgrund des gehäuften Auftretens von Langzeitfolgen (Long und Post Covid) die post-akuten Infektionssyndrome (PAIS) ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Als Auslöser gelten vor allem Infektionen. Neben Corona fungiert beispielsweise auch das Epstein-Barr-Virus (EBV) als Trigger. Die schwerste Ausprägung ist die Krankheit ME/CFS, die im schlimmsten Fall zur Arbeitsunfähigkeit und Bettlägerigkeit führen kann. Im Folgenden eine Übersicht:
LONG COVID
Von Long Covid sprechen Ärztinnen und Ärzte, wenn Betroffene nach einer Covid-Infektion auch nach mehr als vier Wochen noch über Beschwerden klagen. Halten die Beschwerden länger als zwölf Wochen nach einer Covid-Infektion an und sind nicht mit einer anderen Diagnose erklärbar, so spricht man vom Post-Covid-Syndrom. Als schwerste Ausformung gilt das post-akute Infektionssyndrom ME/CFS.
Es werden mehrere Gruppen von Long Covid differenziert: Erstens jene Betroffene, die durch einen schweren akuten Verlauf lang anhaltende Schäden erleiden (durch Lungenentzündung, Herzmuskelentzündung, Lungenfibrose, Nierenschäden etc.). Die zweite Gruppe umfasst jene, bei denen durch eine Covid-19-Infektion neue Erkrankungen entstehen oder bereits bestehende verschlechtert werden (etwa Autoimmun-, Lungen-, Herz- und Stoffwechselerkrankungen, Dysfunktionen im Immunsystem oder demenzielle Erkrankungen). Halten die Probleme länger an, spricht man von Post Covid.
POST-COVID-SYNDROM
Als dritte Gruppe von Betroffenen gilt die Neuentstehung des eigentlichen post-akuten Infektionssyndroms Post-Covid. Diese Betroffenen leiden unter schweren Dysfunktionen und weisen Symptome ähnlich der Erkrankung ME/CFS auf. Diese Dysfunktionen betreffen etwa das autonome Nervensystem, das Immunsystem, das Endothel (innere Schicht) der Gefäße, die Energiegewinnung in den Mitochondrien auf Zellebene oder die Durchblutung von Gehirn und anderen Organen bzw. Gewebestrukturen. Ebenso betroffen sein können die Transmittersubstanzen zwischen den Nervenzellen und das Darmmikrobiom. Auch Schädigungen von spezifischen Nervenfasern kommen vor, ebenso die Reaktivierung von sich latent im Körper befindlichen Viren wie z.B. Herpesviren.
Mögliche Folge sind die schwere Belastungs-Erholungsstörung PEM (Post-Exertional Malaise), Dysautonomien (Fehlfunktionen des autonomen Nervensystems) wie etwa orthostatische Hypotonie (übermäßiger Blutdruckabfall im Stehen) oder das Posturale Tachykardie Syndrom (POTS), bei dem der Puls im Stehen übermäßig ansteigt. Außerdem können Schlafstörungen, das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS), kognitive Dysfunktion, Mikrothromben und vieles mehr auftreten. Auch ME/CFS kann als schwerste Form Folge einer Covid-Infektion sein.
ME/CFS
ME/CFS ist eine eigenständige schwere Multisystemerkrankung, die seitens der Weltgesundheitsorganisation WHO bereits 1969 beschrieben und anerkannt wurde. Zwar sind die Entstehungsmechanismen nach wie vor nicht hinreichend geklärt, laut aktuellem Forschungsstand wird aber davon ausgegangen, dass eine Fehlregulation des Immunsystems und des autonomen Nervensystems Grundlage für die Erkrankung sein könnten. Als Auslöser gelten in erster Linie bakterielle oder virale Infektionen. Auch Operationen oder u.a. Traumata werden von Patienten als mögliche Trigger genannt. Betroffene leiden unter einer stark beeinträchtigten Leistungsfähigkeit (PEM), die mindestens sechs Monate andauert sowie weiteren teils schwerwiegenden Symptomen, wie sie auch beim Post-Covid-Syndrom auftreten können. Die Krankheit kann (je nach Schweregrad) zu einer Behinderung, Arbeitsunfähigkeit und sogar zur Bettlägerigkeit und Pflegebedürftigkeit führen.
PEM
Die schwere Belastungs-Erholungsstörung PEM (Post-Exertional Malaise) ist mögliche Folge einer postviralen Erkrankung wie etwa einer Covid-19-Infektion. Körperliche und kognitive schrittweise Aktivierung wirkt - entgegen vielen anderen Erkrankungen - nicht unterstützend, sondern hat einen negativen Effekt. Belastungen können zu einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes führen, der sofort oder mit zeitlicher Verzögerung (ca. zwölf bis 48 Stunden) eintreten kann. Auch Sinnesreize oder Infektionen können als Trigger für eine Verschlechterung dienen. Um PEM zu vermeiden, wird empfohlen, die Aktivitäten in jenem Rahmen zu halten, in dem sie zu keiner Verschlechterung führen ("Pacing"). Entscheidend für die Abgrenzung gegenüber anderen Erkrankungen wie etwa Depressionen ist der unverminderte Antrieb und Motivation der Betroffenen, die Symptomentstehung erst nach Belastung, dafür langanhaltend und ein deutlicher Abfall der Performance bei der Wiederholung von Tests (Kraft, Ausdauer und Kognition) nach einer für gesunde Menschen ausreichenden Pause.
THERAPIE
Bei post-akuten Infektionssyndromen wie ME/CFS oder beim post-akuten Post-Covid-Syndrom gibt es nach wie vor keine heilende Therapie. Therapieansätze sind aktuell nur auf Symptomlinderung ausgerichtet, mittlerweile gibt es aber zahlreiche auch medikamentöse Behandlungsoptionen, deren Kosten von den Krankenkassen übernommen werden. Eine entsprechende Medikamentenliste ist auf der Webseite des Referenzzentrums für postvirale Syndrome der MedUni Wien abrufbar (https://go.apa.at/41916GsD). Die Bandbreite reicht von Medikamenten gegen die oft auftretenden Kreislaufregulationsstörungen wie POTS über Mittel gegen Mikrothromben oder andere Blutgerinnungsprobleme bis in zu Therapeutika gegen das oftmals auf oftmals auftretende Mastzellaktivierungssyndrom. Verordnet werden können die Off-Label-Medikamente bei entsprechender Indikation auch von Hausärzten bzw. -ärztinnen.
Angezeigt ist bei der Diagnostik Vorsicht vor Fehl-Diagnosen (etwa die Verwechslung mit Depressionen oder somatoformen Störungen) und daraus resultierenden Fehlbehandlungen: Bei allfälligen Rehabilitationsmaßnahmen muss die individuelle Belastungsschwelle der Patienten penibel beachtet werden. Denn bei Vorliegen von PEM (auch in leichter Form) kann Belastung zu einer deutlichen Verschlechterung des Gesamtzustandes führen, die Wochen, Monate oder auch dauerhaft anhalten kann.
Direkte Folgeschäden wie beispielsweise Lungenschäden nach einem schweren akuten Covid-Verlauf können durch die existierenden Versorgungsstrukturen therapiert werden, dies gilt auch für Erkrankungen, die durch eine Covid-Infektion reaktiviert werden oder neu entstehen.
PRÄVENTION
Die wirksamste Prävention ist die Vermeidung von Infektionen. Neben Auffrischung von Schutzimpfungen, etwa gegen Covid-19 oder Influenza (Grippe) sind nicht-pharmazeutische Interventionen wie das Tragen von Schutzmasken, Lüften sowie der Einsatz von Abluftsystemen und Luftreiniger - sowie das Vermeiden von Menschenansammlungen in Zeiten hoher Infektionslast empfohlene Maßnahmen. Auch wiederholte Infektionen - etwa mit dem Coronavirus - erhöhen laut aktueller Forschungslage die Gefahr von Langzeitfolgen.
BEHANDLUNGSSTELLEN
Anlaufstellen sind derzeit (auch mangels Alternativen) in erster Linie die niedergelassenen Hausärzte. Die von Betroffenenorganisationen sowie Medizinern und Medizinerinnen und auch Ex-Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) immer wieder geforderten Behandlungsstellen mit gebündelter Kompetenz gibt es derzeit trotz Bemühungen nicht. In Wien wurde ein Probebetrieb für ein PAIS-Kompetenzzentrum ab Anfang 2027 und Vollbetrieb für Ende 2028 angekündigt. Im Burgenland gibt es eine Absichtserklärung, bis 2026 eine derartige Stelle einzurichten und in Salzburg wurde ein entsprechender Beschluss der Politik zuletzt deutlich abgeschwächt. In der Steiermark gibt es - vage - Planungen für eine zentrale Anlaufstelle, lediglich "Koordinationsstellen" gibt es in Tirol und Vorarlberg, in Niederösterreich verweist man auf grundsätzliche Reformen bis Ende 2025.
HÄUFIGKEIT
Zur Häufigkeit des Auftretens von Long Covid ist es notwendig, die oben genannten Begrifflichkeiten auseinanderzuhalten. Das Risiko von Long Covid über alle Gruppen hinweg liegt laut Meta-Analysen bei ca. fünf bis zehn Prozent der Infizierten (pro Infektion). Das Post-Covid-Syndrom selbst dürfte laut MedUni Wien mit einer Häufigkeit von zwei bis vier Prozent auftreten.
ME/CFS selbst dürfte durch die Covid-19-Erkrankungen stark angestiegen sein bzw. weiter ansteigen. Von der Krankheit, die teils nach wie vor als "selten" bezeichnet wird, sind in Österreich laut Schätzungen der MedUni Wien rund 70.000 bis 80.000 Personen betroffen (abgeleitet aus internationalen Daten), 60 bis 65 Prozent davon eingeschränkt arbeitsfähig, weitere 20 Prozent schwer und sehr schwer betroffen und damit hausgebunden oder bettlägerig.
Rund 20 Prozent davon sind schwer oder sehr schwer betroffen. Dabei sind freilich nur jene gemeint, die unter die Kategorie ME/CFS fallen (und damit das Kardinalsymptom PEM aufweisen). Andere von Post-Covid- oder PAIS-Betroffene, die nicht die ME/CFS- Kriterien mit PEM erfüllen, fallen nicht in dieses Zählung hinein.
Zum Vergleich: Von den deutlich bekannteren Krankheiten wie Multiple Sklerose oder Parkinson sind laut deren Patientenorganisationen in Österreich ca. 13.500 bzw. mindestens 25.000 Personen betroffen.
Service: Weitere Informationen findet man auf der Webseite des Referenzzentrums für postvirale Symptome an der MedUni Wien: https://go.apa.at/gZKEwUld, Informationen zur Häufigkeit von MS und Parkinson auf den Webseiten der jeweiligen Patientenorganisationen: https://www.msges.at/multiple-sklerose/, www.parkinson.at