Catcalling. Was haben Bindungserfahrungen mit sexueller Belästigung zu tun?
Wenn Männer Frauen in der Öffentlichkeit sexuell anzüglich hinterherpfeifen, -rufen oder gestikulieren, spricht man von Catcalling. Ein Forschungsteam am Fachbereich Psychologie der Universität Salzburg hat die Häufigkeit und Ursachen dieses Verhaltens untersucht. Ihre Studie zeigt, dass Catcalling sehr weit verbreitet ist und dass frühe Bindungserfahrungen sowie bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie Gefühlskälte entscheidende Faktoren für die Entstehung dieses Verhaltens sind.
"Pss, pss, pss" ist eine Methode, um Katzen anzulocken. Doch auch manche Männer machen solche Laute, um die Aufmerksamkeit von vorbeigehenden Mädchen und Frauen auf sich zu ziehen. Dieses Verhalten wird Catcalling genannt. Meistens handelt es sich um Anspielungen auf das Aussehen und den Körper der Frau. Mit Komplimenten hat Catcalling nichts zu tun. Es demonstriert vielmehr männliche Dominanz. Frauen empfinden dies oft als bedrohlich.
27 verschiedene Formen von Catcalling
Alina Zahn, Florian Hutzler und Sarah Schuster vom Centre for Cognitive Neuroscience und dem Fachbereich Psychologie der Universität Salzburg haben zu Catcalling eine online Studie durchgeführt, mit 155 Männern aus Österreich und Deutschland, die im Alter zwischen 19 und 83 Jahren waren. Die Testpersonen wurden zunächst gefragt, wie häufig sie Frauen auf der Straße anzüglich hinterherpfeifen, -rufen, sie mit aufdringlichen Blicken oder obszönen Gesten belästigen. In einem etablierten Fragebogen wurden 27 verschiedene Formen von Catcalling angeführt, von vermeintlich harmlosen Komplimenten bis zu aggressiven sexuellen Annäherungen ("einer Frau Geld für Sex angeboten"). Um möglichst zu vermeiden, dass die Testpersonen sozial erwünschte Antworten geben, wurde ihnen gesagt, dass es in der Studie um Flirtverhalten ginge.
"90 Prozent der Teilnehmer gaben an, innerhalb des letzten Jahres sich mindestens einmal gegenüber Frauen in der Öffentlichkeit verbal sexuell anzüglich verhalten zu haben oder verbal sexuell aufgeladene Bemerkungen gemacht zu haben. Diese Daten zeigen, dass Catcalling ein weit verbreitetes gesellschaftliches Problem ist", sagt Erstautorin Alina Zahn und betont, dass die negativen Auswirkungen für die Frauen oft größer sind als man denke. "Viele Betroffene fühlen sich durch Catcalling-Erfahrungen in ihrem Sicherheitsgefühl erheblich beeinträchtigt. Die psychischen Folgen reichen von akutem Stress, Schlafstörungen, Verinnerlichung negativer Kommentare, bis zu einer verstärkten Angst vor Vergewaltigung."
Zwei Faktoren im Fokus
Das Hauptziel der Studie war es, mögliche zugrundeliegende Entwicklungsmechanismen für das Catcalling-Verhalten zu untersuchen. Die Forschenden haben dafür zwei Faktoren in den Fokus gerückt: einerseits die Persönlichkeitsmerkmale Gefühlskälte und Empathiemangel, andererseits die frühen Bindungserfahrungen der Befragten mit ihren Eltern.
Dass die soziale und emotionale Entwicklung eines Menschen stark von der frühkindlichen Bindung zur Bezugsperson, in der Regel der Mutter bzw. den Eltern abhängt, gilt seit den Studien des britischen Kinderarztes und -psychiaters John Bowlby als belegt. Schlechte elterliche Bindungserfahrungen wiederum begünstigen die Persönlichkeitsmerkmale Gefühlskälte und Empathielosigkeit, die allerdings auch genetisch oder neurologisch (mit)verursacht sein können. Die Zusammenhänge sind sehr komplex.
"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass positive Fürsorge- und Autonomieerfahrungen in den ersten sechszehn Lebensjahren mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit von Catcalling-Verhalten verbunden sind. Insbesondere beobachteten wir, dass die Erfahrung einer positiven mütterlichen Bindung das Risiko der Manifestation von Gefühlskälte und Empathiemangel verringerte. Geringere Gefühlskälte wiederum war mit einem geringeren Ausmaß von Catcalling verbunden", resümiert Seniorautorin Sarah Schuster.
Zusammenhang zwischen Catcalling und Mutter-Sohn-Beziehung
Der Zusammenhang, den die Studie zwischen der Mutter-Sohn-Beziehung und dem Catcalling-Verhalten fand, war also ein indirekter. Bei der Vater-Sohn-Beziehung hingegen war es ein direkter. Studienteilnehmer, die in ihrer Kindheit und Jugend väterlicherseits Ablehnung und Kontrolle erlebt hatten, zeigten vermehrtes Catcalling-Verhalten, unabhängig von Gefühlskälte. Co-Autor Florian Hutzler liefert dafür mögliche Erklärungen. "Die Vater-Sohn-Beziehung wird im Gegensatz zur mütterlichen Bindung stärker durch körperbetontes Spiel geprägt, das exploratives Verhalten fördert. Väterliche Zurückweisung und Kontrolle können dieses Explorationsverhalten hemmen und damit soziale Lernprozesse beeinträchtigen. Zudem könnte die väterliche Beziehung zur Mutter ein ungünstiges Rollenmodell im Umgang mit Frauen vermittelt haben." Dieser Aspekt wurde in der vorliegenden Studie jedoch nicht erhoben, betonen die Forschenden.
Dass die Studie Selbstauskünfte zur Erfassung von Catcalling und zur retrospektiven Bewertung der elterlichen Bindungsqualität nutzte, schränkt die Aussagekraft der Untersuchung ein, konzedieren die Forschenden. Aufgrund des sensiblen Themas spielt die soziale Erwünschtheit bei der Beantwortung der Fragebögen eine wichtige Rolle.
Fest stehe aber, dass die Untersuchungen vor allem insofern für die Praxis relevant sind, als sie einerseits Catcalling als strukturelles Problem identifizierten, das gesellschaftliche Maßnahmen erfordere, und anderseits als sie die Bedeutung einer sicheren Bindung für die positive emotionale und soziale Entwicklung von Kindern bestätigen, betonen die Forschenden.
Publikation
"Did Your Mum Not Hug You Enough? The Effects of Attachment Experience and Callous-Unemotional Traits on Catcalling Behavior of Men" In: https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/10778012251362216
Kontakt: Sarah Schuster, Dr. MSc. Senior Scientist Centre for Cognitive Neuroscience/ Fachbereich Psychologie Universität Salzburg Hellbrunnerstraße 34 I 5020 Salzburg t.: 0662 8044 – 5162 Email: sarah.schuster@plus.ac.at Univ.-Prof. Dr. Florian Hutzler Centre for Cognitive Neuroscience / Fachbereich Psychologie Universität Salzburg Hellbrunnerstraße 34 I 5020 Salzburg t.: 0662 8044 – 5114 Email: florian.hutzler@plus.ac.at