Interventionelle Radiologie: "Aus dunklen Kammern, hin zum Patienten"
Interventionelle Radiologie (IR) nutzt bildgebende Verfahren wie CT, MRT, Ultraschall und Röntgen zur Durchführung minimal-invasiver Eingriffe. Beispiele sind die Behandlung von Gefäßverengungen und Schmerzen, Tumorablationen (Verödungen) sowie der Verschluss von Blutgefäßen (Embolisation) etwa mit dünnen Sonden statt offener Operationen. IR bringt die Radiologinnen und Radiologen "raus aus den dunklen Kammern, hin zum Patienten", erläutert der Mediziner Christian Neumann.
1964 wurde in den USA die erste Gefäßerweiterung bei einer Patientin mit einem Katheter durchgeführt, was als Pionierleistung in dem Fachgebiet gilt. Aber: "In den letzten Jahren tut sich einfach wahnsinnig viel", sagte Neumann, der heuer zum Präsidenten der Österreichischen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie (ÖGIR) ernannt wurde.
Am Krankenhaus der Barmherzigen Brüder in Wien, wo Neumann der Abteilung für Radiologie und Nuklearmedizin vorsteht und etwa 2.000 interventionelle Eingriffe pro Jahr durchgeführt werden, kommt beispielsweise seit dem Vorjahr das Navigationssystem CAS-One IR zum Einsatz. Dieses mache minimal-invasive, bildgestützte Tumorbehandlungen noch zielgenauer und sicherer, erläuterte der Radiologe im Gespräch mit der APA - Austria Presse Agentur. Das System wird derzeit vor allem für die Kryoablation (Vereisung) von Nierentumoren sowie die Mikrowellenablation (Wärme) bei Lebertumoren verwendet.
3D-Modell und KI-Einsatz
Bei einem typischen Fall - wie einem kleinen, schwierig zugänglichen Lebertumor - erfolgt der Eingriff unter CT-Bildgebung. CAS-One IR erstellt auf Basis der Planungsuntersuchung ein dreidimensionales Modell des betroffenen Körperbereichs. Eine integrierte Künstliche Intelligenz (KI) analysiert die Bilddaten und berechnet daraus den optimalen Zugangsweg zum Tumor - millimetergenau und individuell angepasst an die anatomischen Gegebenheiten der Patientin oder des Patienten.
Während des Eingriffs werden die aktuellen CT-Bilder in Echtzeit mit der vorherigen Planung abgeglichen. Dadurch kann die behandelnde Radiologin bzw. der Radiologe die Punktionsnadel laut Neumann präzise und sicher zum Tumor führen - mit deutlich höherer Genauigkeit als bei rein manueller Steuerung. Das System kann zuvor "planen, wie groß der Bereich des abgestorbenen Gewebes sein wird".
Schnellere Wundheilung
Interventionelle Radiologie "erlaubt auch Eingriffe an Patienten, die sonst keine Chance hätten, operiert zu werden", etwa weil sie blutverdünnende Medikamente nehmen müssen, in klinisch schlechtem Zustand sind oder längere Eingriffe nicht tolerieren können. Durch die minimal-invasive Methodik können die Behandelten "in der Regel am nächsten Tag heimgehen", schilderte Neumann. "Der Vorteil für die Patientinnen und Patienten liegt vor allem in einer kürzeren Wundheilung und einem verkürzten Krankenhausaufenthalt." Die Interventionelle Radiologie sei "ein Tool mehr" in den verfügbaren Therapieoptionen.
Ob eine minimal-invasive Intervention oder eine offene Operation erfolgt, "ist immer eine Teamentscheidung", betonte Neumann die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen involvierten Fachärzten je nach zu behandelndem Krankheitsbild. Dabei spielen Patientenfaktoren, Krankheitsverlauf und Prognose eine wichtige Rolle. Die Interventionelle Radiologie kann beispielsweise nicht zum Einsatz kommen, wenn ein Tumorherd bereits zu groß ist, erläuterte er. Prinzipiell können damit aber Erkrankungen behandelt werden, die "vom Gehirn bis zu den Zehen" auftreten, sagte der Experte. Auch die akute Schlaganfalltherapie zur Entfernung eines Blutgerinnsels (Thrombektomie) ist ein Beispiel.
Spezielle Fachausbildung
"Wir arbeiten selbstverständlich noch immer diagnostisch auch" sagte Neumann. Ein Schwerpunkt in Interventioneller Radiologie und mehr Arbeit direkt am Patienten ist aber möglich. Nach der dreijährigen radiologischen Basisausbildung könne diese als eine von sechs Sonderfach-Schwerpunktausbildungen gewählt und in weiteren 27 Monaten erlernt werden. "Natürlich ist es unser Bestreben, postgraduell weiter auszubilden", berichtete der ÖGIR-Präsident. Es gebe spezielle Kurse, Workshops und etwa auch nationale und internationale Kongresse, beispielsweise eine jährliche Veranstaltung in Salzburg mit etwa 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus dem deutschsprachigen Raum.
"Wir sind gerade dabei, uns selbst genauer zu definieren", ergänzte Neumann. Es gehe um Fragen wie: "was können wir tun, um die Qualität unserer Arbeit zu bestätigen und diese international zu vergleichen"; "wie wecken wir Interesse bei jungen Medizinerinnen und Medizinern, wie bilden wir sie aus" und "wie können wir uns aufstellen, dass uns Kolleginnen und Kollegen anderer Fachrichtungen nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung wahrnehmen?" Die Interventionelle Radiologie werde jedenfalls "mehr werden und sich weiter entwickeln", sagte Neumann.
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