Forscher wollen gefährdete Sprachen revitalisieren
Von den weltweit rund 7.000 existierenden Sprachen gelten etwa 40 Prozent als gefährdet. Pessimistische Prognosen erwarten, dass 90 Prozent davon in den nächsten 100 Jahren verloren gehen oder ernsthaft bedroht sein werden. In einem neuen, mit drei Mio. Euro dotierten EU-Forschungsprojekt wollen nun Wissenschafterinnen und Wissenschafter mit Beteiligung aus Österreich am Schutz und der Revitalisierung gefährdeter und minorisierter Sprachen in Europa arbeiten.
"In Europa wurden gewiss einige positive Instrumente und Strategien zum Schutz gefährdeter Sprachen auf den Weg gebracht, das reicht aber noch nicht, um diesem Trend wirklich entgegenzutreten", erklärte Daniel Wutti gegenüber der APA. Der Professor für Mehrsprachigkeit und interkulturelle Bildung an der Pädagogischen Hochschule Kärnten (PHK) ist Partner des im Rahmen des EU-Programms "Horizon Europe" geförderten Projekts "FOSTERLANG" (Fostering linguistic capital: a roadmap for reversing the diversity crisis and activating societal benefits in Europe).
Förderung des sprachlichen Kapitals in Europa
Dieses zielt darauf ab, "die Anerkennung, Wertschätzung und Stärkung des sprachlichen und humanen Kapitals von Sprecherinnen und Sprechern von Minderheiten- und Migrantensprachen zum Nutzen ihrer Gemeinschaften und Europas als Ganzes zu verändern", wie es in einer Aussendung heißt. Das Projektkonsortium, bestehend aus 14 Institutionen und Vertretern von 48 Sprachgemeinschaften - vom in Schottland gesprochenen A'Ghàidhlig bis zum in Nordostitalien gesprochenen Zimbrisch, will als eines der wichtigsten Ergebnisse eine "Linguistic Capital Road Map" entwickeln. Diese soll Empfehlungen für wirksame und sinnvolle Strategien zur Förderung des sprachlichen Kapitals in Europa und zum Schutz von Minderheitensprachen enthalten.
Im Bildungsbereich will Wutti mit seinem Projektteam herausfinden, "unter welchen bildungspolitischen Umständen Minderheitensprachen am häufigsten gesprochen und gelehrt werden". Sie vergleichen dazu Baskisch und Katalanisch in Spanien, Slowenisch in Kärnten, Kaschubisch in Polen und Walisisch in Wales. Diese Regionen hätten sehr unterschiedliche nationale Vorbedingungen mit unterschiedlichen sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen, etwa was Sprachprestige und Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit betrifft, so Wutti.
Baskisch als positives Beispiel
Als positives Beispiel nennt er das Baskische. Unter dem Franco-Regime noch eine weitgehend verbotene Sprache, entwickle sich dieses seit den 1980er Jahren sehr positiv, etwa hinsichtlich der Zahl der Sprecherinnen und Sprecher, einem Schulsystem, in dem Kinder Baskisch in allen Schultypen lernen, und vor allem hinsichtlich des Prestiges: "Es gehört mittlerweile zum guten Ton, im Baskenland Baskisch sprechen zu können."
Positive Entwicklungen gebe es überall dort, wo Sprachen durch besonderes Engagement "revitalisiert", bzw. zumindest am Leben erhalten werden. So habe in Irland und Wales mit Sprachplanung und besserem gesetzlichen Schutz das Irische und Walisisch neu belebt werden können. Für Sami-Sprachen in Nordeuropa gebe es in Schweden gute Lehrerbildungsprogramme, und in Polen würden Theaterstücke für das "Wilmesaurische", eine alte deutsche Sprachvariante, geschrieben und von Jugendlichen aufgeführt.
"Germanisierung" in Kärnten
Solchen Modellen würden aber schwerwiegende Hindernisse entgegenstehen, etwa "einsprachige Bildungspraktiken und institutionelle und soziopolitische Vernachlässigung von Minderheitensprachen". Beispiele seien die bewusste jahrzehntelange "Norwegisierung" der Sami oder die "Germanisierung" in Kärnten.
In Kärnten gebe es gute gesetzliche Regelungen für die Primarstufe, doch der Kindergartenbereich und die Sekundarstufe seien schlecht aufgestellt. "Und öffentlich ist das Slowenische so gut wie nirgends sichtbar", so Wutti.
Reformbedarf beim Volksgruppengesetz
In Österreich gibt es sechs anerkannte, gesetzlich geschützte Volksgruppensprachen: Ungarisch, Slowenisch, Burgenlandkroatisch, Tschechisch, Slowakisch und Romani. Doch das aus den 1970er Jahren stammende Volksgruppengesetz "sollte dringend reformiert und den gegenwärtigen Herausforderungen angepasst werden", meint Wutti.
Zwar sei das Okzitanische in Frankreich, Italien und Spanien oder Meänkeli, eine in Schweden gesprochene Variante des Finnischen, gewiss gefährdeter als das Dänische in Deutschland oder die österreichischen Volksgruppensprachen: Es gehe aber um Aufmerksamkeit für diese Vielfalt, und vor allem um den Versuch, "diese Vielfalt zu einer Ressource zu gestalten".
Mehrsprachigkeit könnte Europa nützen
Für Wutti ist das Ziel des von der Uni Warschau koordinierten Projekts, aus den Ergebnissen zu lernen und Empfehlungen abzugeben - für Familien im Sinne einer generationenübergreifenden Weitergabe der Minderheitensprachen, aber auch für die Politik im Sinne des besseren Schutzes für den Erhalt und die Vitalität der Minderheitensprachen. "Denn wir betrachten Mehrsprachigkeit als immer schon dagewesene Diversität und als wesentlichen Bestandteil von Humankapital, das Europa und der EU sehr nützen könnte." Dieses Potenzial sei bisher nicht ausreichend anerkannt und ausgeschöpft.
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