Mit Wirtschafts-Werkzeug Aussterberisiko von Arten identifiziert
Komplexe Systeme können einander in ihren grundlegenden Strukturen ähneln. Das zeigt eine Studie vom Complexity Science Hub (CSH) Vienna im Fachjournal "Chaos, Solitons & Fractals": Dabei werden Methoden der wirtschaftlichen Komplexitätsforschung verwendet, um das Aussterberisiko von Arten in Ökosystemen zu identifizieren. Die Dynamiken in den Netzwerken - hier Industrie und Märkte, da Arten und Lebensräume - sind den Forschern zufolge dabei verblüffend vergleichbar.
In ihrer Arbeit stellte das Forschungsteam um Emanuele Calo, Giordano De Marzo und Vito Servedio ein neues Modell vor, mit dem sich die ökologische Rolle von Arten und verborgene Aussterbe-Risiken in Lebensräumen abschätzen lassen. "Die mathematischen Modelle, mit denen wir verstehen, wie Länder sich in globalen Handelsnetzwerken Wettbewerbsvorteile erarbeiten, können zeigen, wie Arten innerhalb von Ökosystemen interagieren und koexistieren", erklärt Servedio in einer Aussendung. Ohne biologische Kenntnisse konnten die Physiker nur anhand von Netzwerkdaten die ökologischen Rollen der verschiedenen Arten rekonstruieren.
Rolle der Arten als Räuber und Beute
Während sich etablierte netzwerkbasierte Messmethoden oft auf eine einzige Kennzahl zur Quantifizierung der Relevanz einer Art stützen, berücksichtigen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter die doppelte Rolle, die jede Art in einem Ökosystem spielt - nämlich als Räuber und als Beute. Das ermögliche es zu verstehen, welche Arten eine Schlüsselrolle im jeweiligen Lebensraum spielen und welche am meisten gefährdet sind.
Als Basis dienten reale Daten aus sechs Ökosystemen in den USA, darunter die Zypressensümpfe der Florida Bay und die Coachella-Wüste in Kalifornien. Jede Art erhielt dabei zwei Werte: die "Wichtigkeit", die besagt, wie viele andere Arten von ihr als Nahrungsquelle abhängen, und die "Robustheit", die angibt, wie wahrscheinlich es ist, dass eine Art überlebt, abhängig davon, wie flexibel und erfolgreich sie bei der Nahrungssuche ist. So könnten verborgene Verwundbarkeiten und Schlüsselarten identifiziert werden.
Alligatoren als Beispiel für Robustheit
Am Beispiel des Nahrungsnetzes in den Zypressensümpfen in Florida zeigten sie die große "Wichtigkeit" von Phytoplankton. Wird dieses aus dem Netzwerk entfernt, führt das zum Aussterben weiterer Arten. Auf der anderen Seite identifizierten sie sehr robuste Arten wie Alligatoren, die aufgrund ihrer vielfältigen Ernährung und ihrer geringen Gefährdung durch andere Raubtiere in der Regel länger überleben, wenn das gesamte Ökosystem unter Druck gerät.
Arten mit niedriger Robustheit seien hingegen am anfälligsten und vom Aussterben bedroht, schreiben die Forscher in ihrer Arbeit. Als Beispiele für solche Arten nennen sie Eidechsen und Kaninchen, die zu den am stärksten gefährdeten Arten in den Sümpfen Südfloridas zählen.
Hilfe bei Naturschutzplanung
Die Methode kann, ergänzend zu bestehenden Bewertungsverfahren, in allen Ökosystemen angewandt werden, solange es Daten darüber gibt, welche Arten dort leben und wer wen frisst, betonen die Forscher. Der Hinweis auf versteckte Schwachstellen in einem Lebensraum und Gefährdungen, die nicht immer offensichtlich sind, kann bei der Naturschutzplanung helfen, insbesondere wenn es sich um Schlüsselarten handelt, deren Verlust ein größeres weiteres Aussterben zur Folge haben könnte. Dadurch könnten begrenzte Ressourcen und Schutzmaßnahmen dorthin gelenkt werden, wo sie am meisten bewirken.
Service: https://doi.org/10.1016/j.chaos.2025.116741