Elektronen brauchen "Quanten-Fensterbrett" zum Sprung aus Festkörper
Schickt man Energie in Form eines Elektrons in einen Festkörper, löst der zugeführte Impuls im energetischen Abtausch ein anderes Elektron aus dem Verbund - so zumindest die Theorie. Jedoch passen Messungen oft nicht zu dieser relativ einfachen Rechnung. Ein Wiener Team wartet nun im Fachblatt "Physical Review Letters" mit einer komplexen Erklärung auf: Elektronen finden oft kein Fenster aus dem Material heraus mit dazugehörigem quantenmechanischem "Fensterbrett".
"Jedes Material hat ein gewisses Labyrinth, in dem sich die Elektronen aufhalten können", erklärte die Erstautorin der Arbeit, Anna Niggas vom Institut für Angewandte Physik der Technischen Universität (TU) Wien, im Gespräch mit der APA. Dieser Quasi-Lebensraum für Elektronen ist in jedem Material ein anderer. Werden die negativ geladenen Atom-Bestandteile durch die Zufuhr von Energie aus dem Festkörper hinausgeworfen, tragen sie sozusagen Informationen über den Zustand des Labyrinths und die Atome, mit denen sie dort zu tun hatten, in sich. Das macht sie für die Wissenschaft interessant, denn "so kann man aus emittierten, niederenergetischen Elektronen auf Materialeigenschaften rückschließen", sagte die Physikerin.
Exotische Elektronen-Input/Output-Verhältnisse
Seit langem ist aber bekannt, dass sich die Abläufe nicht exakt an die Theorie halten: Nicht alle negativ geladenen Teilchen schaffen es, wie vorhergesagt, aus dem Material-Labyrinth "in die große, weite Welt". Diesem lange bekannten Phänomen ging das Team aus Wien nun mit einem ausgeklügelten Versuchsaufbau auf den Grund. Man verfolgte zusammengehörende Elektronenpaare - also ein auf das Material geschossenes und ein daraus emittiertes Teilchen.
Als Festkörper fungierte Graphen - ein nur eine Atomschicht dünnes Kohlenstoffgitter - in einlagiger und zweilagiger Variante, sowie das viellagige Graphit. Tatsächlich beeinflusste der Schichtaufbau das In- und Output-Verhältnis massiv - obwohl das Material an sich das gleiche ist, nur eben unterschiedlich dick. In Zusammenarbeit mit Kollegen des Instituts für Theoretische Physik der TU Wien konnte dieser Unterschied nun erklärt werden.
Hüpfender Frosch braucht "Türzustand" und "Quanten-Fensterbrett"
"Das Neue an unserer Arbeit ist, dass wir uns dann auch angesehen haben, wie dieses prinzipiell gleiche Labyrinth mit der freien Welt draußen zusammenspielt", erklärte Niggas. Man könne sich das wie einen Frosch vorstellen, der in einer Kiste mit einem etwas höher liegenden offenen Fenster sitzt. Schickt man Energie in Form eines Elektrons in die Kiste, erhält der Frosch die Kraft, auf Fensterhöhe zu hüpfen und tut das auch. Der Sprung führt aber nicht immer durch die Öffnung.
Das hüpfende theoretische Tier braucht "draußen ein Fensterbrett, auf dem es landen kann, damit es wirklich hinaus kann", so die Physikerin: "Das gibt es aber nicht bei jedem Fenster." Mit der überschüssigen Energie muss sich der quantenmechanische Zustand des Elektrons nämlich so verändern, dass er quasi besser zu den Quanten-Eigenschaften außerhalb des Materials passt - es muss sich an die Bedingungen in der Außenwelt erfolgreich einkoppeln. Ist dies der Fall, befindet sich der Frosch oder das Teilchen im "Türzustand", wie die TU-Wien-Physikerinnen und -Physiker das Phänomen nennen.
Physikerin: "Mehr Lagen öffnen weitere Wege"
Je weniger Lagen das Material hat, desto weniger Fensterbretter Richtung Außen finden sich dort. "Wir konnten zeigen, dass es wirklich davon abhängt: Mehr Lagen öffnen weitere Wege", betonte Niggas. Jetzt habe man "einen kleinen Schritt" auf das Verständnis des Gesamtphänomens zu gemacht. Eine offene Frage sei, ob sich der Effekt auch bei anderen Materialien als Kohlenstoff so einstellt, und ob sich die Anzahl der Quanten-Fensterbretter ebenso erhöhen lässt.
Von diesem neuen Verständnis könnten Technologien, wie Rasterelektronen-Mikroskopie oder sehr feinfühlige Detektoren profitieren. Auch in der Grundlagenforschung an den für viele wissenschaftliche und technologische Anwendungen vielversprechenden sogenannten "Schichtmaterialien" eröffnen die Erkenntnisse auf jeden Fall neue Möglichkeiten, so Niggas.
Service: https://dx.doi.org/10.1103/qls7-tr4v