Unerwünschte ausländische Einmischung in Forschung nimmt zu
Auch wenn der Grat zwischen sehr offensiver Wissenschaftsdiplomatie und tatsächlich unerwünschter Einmischung nicht unbedingt breit ist: Akteure ausländischer Staaten, die versteckt Forschungsergebnisse abgreifen, um sie für missbräuchliche – meist militärische – Zwecke zu nutzen, sind auf dem Vormarsch, berichtete Klaus Schuch, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Soziale Innovation (ZSI), im Gespräch mit APA-Science.
"Im Fokus stehen neben der militärischen Nutzung vermehrt auch strategische Forschungsbereiche, die ökonomisch im globalen Wettbewerb einen Unterschied ausmachen können", so Schuch. Abgesehen von strafrechtlich relevanten Vorgängen, wie Technologiespionage oder Cyberangriffen, gebe es einen großen Graubereich, etwa wenn Forschungsgruppen aus bestimmten Ländern in Europa arbeiten und Erkenntnisse "mitnehmen", in der Absicht, sie militärisch oder wirtschaftlich zu nutzen. Hier würden vor allem China, Russland, Iran und hin und wieder auch die USA genannt. Erst kürzlich hatte der heimische Verfassungsschutz darauf hingewiesen, dass es Forschungszentren an Bewusstsein im Hinblick auf die eigene Attraktivität für chinesische Nachrichtendienste fehle.
Ursache für die deutliche Zunahme der unerwünschten ausländischen Einmischung sei erstens die starke Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung in den vergangenen 30 Jahren und zweitens die Veränderung des geopolitischen Umfelds. Eine klare Definition für unerwünschte Einmischung in Forschung und Innovation gebe es zwar nicht. Eine Intervention, um Archäologen Grabungen in einem anderen Land zu ermöglichen, wäre aber beispielsweise lediglich klassische Wissenschaftsdiplomatie. Ausländische Forscherinnen und Forscher, die als Sprachrohr ihres Staates bei europäischen Hochschulen bewusst Desinformationen streuen, seien hingegen schon kritischer zu betrachten.
Von ausländischen Fachkräften abhängig
An manchen Universitäten würden aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal fast nur mehr ausländische Forscherinnen und Forscher arbeiten - zum Teil aus Ländern, denen man skeptisch gegenüberstehen sollte. Hier gebe es bereits eine gewisse Abhängigkeit. "In Litauen zum Beispiel sind sehr viele Forschende abgewandert: Um die freien Stellen zu besetzen, wurden auch russische Staatsbürger eingestellt. Inzwischen hat sich aber das Umfeld geändert. Das Screening von Personal wird nun deutlich ernster genommen, als es möglicherweise noch vor zehn Jahren der Fall war", sagte Schuch.
Bis vor kurzem habe in Österreich und in vielen anderen europäischen Ländern beispielsweise der Wunsch geherrscht, mehr mit Asien und insbesondere mit China zu kooperieren. Insofern sei z.B. Quantenphysiker und Nobelpreisträger Anton Zeilinger kein Vorwurf bezüglich der Kooperation mit chinesischen Forschenden zu machen. Zeilinger hat viele Jahre die Zusammenarbeit mit China vorangetrieben und führte beispielsweise 2017 als Präsident der Akademie der Wissenschaften mit seinem chinesischen Amtskollegen das erste quantenverschlüsselte Videotelefonat. "Aus der damaligen Sicht war das gewünscht. Die Forschungspolitik ist inzwischen aber deutlich sensibler geworden", erläuterte der Experte. Leider sei das Bewusstsein für die Gefahr unerwünschter ausländischer Einmischungen auf Ebene der individuellen Forscherinnen und Forscher bei Weitem noch nicht flächendeckend vorhanden. "Man lässt sich zu Dienstreisen einladen und gibt Vorträge an Universitäten, die möglicherweise zu den 'Seven Sons of National Defence' gehören", verweist der ZSI-Chef auf militärnahe chinesische Hochschulen.
Die EU-Kommission will dieses Bewusstsein nun schärfen und hat Hochtechnologiebereiche definiert, bei denen verstärkt Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden sollten – genannt werden hochentwickelte Halbleiter, Künstliche Intelligenz (KI), Quantentechnologien und Biotechnologie. Bei internationalen Kooperationen in diesen Themenfeldern sollte man sich das Verhältnis der Kooperationspartner und Partneruniversitäten zu militärischen oder nachrichtendienstlichen Einrichtungen näher ansehen, so Schuch. Eine entsprechende Risikobewertung sei aber gar nicht so einfach. Deshalb müsse es nationale Richtlinien geben, wie damit in dieser und jener Situation, umzugehen sei und was man dabei beachten sollte.
Unis erwarten Orientierungshilfe vom Staat
"Der erste Schritt ist, handhabbare, verständliche, kurze Leitlinien zu entwickeln. Da aber nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle diese Richtlinien lesen oder überhaupt wahrnehmen, müssen Universitäten und große Forschungseinrichtungen, die in sensiblen Bereichen arbeiten, selbst interne Compliance-Regeln auf Basis dieser Leitlinien aufstellen und versuchen, das nach unten zu diffundieren", verwies Schuch beispielsweise auf interne Weiterbildungsangebote. Aufgrund der vielen Graubereiche würden sich die Universitäten zu Recht vom Staat eine Orientierungshilfe bei bestimmten Fragen wünschen – etwa: Dürfen wir mit dem Iran arbeiten? Wenn ja, unter welchen Umständen?
In Ländern wie den Niederlanden seien nationale Kontaktstellen eingerichtet worden, die im Hintergrund mit anderen Behörden kommunizieren, um hier zu beraten. Es gebe aber keine konkreten Ja/Nein-Antworten, weil sonst in die Entscheidungsautonomie der Universitäten eingegriffen werde. In Flandern wiederum sei ein System in der Forschungsförderung in Vorbereitung, bei dem Forschenden, wenn sie ihre Projekte bei den Förderagenturen einreichen, mittels Ampelfarbe angezeigt wird, ob eine Kooperation unbedenklich wäre. Dabei wird etwa berücksichtigt, um welche Forschungsdisziplin es sich handelt, mit welchen Ländern kooperiert wird und wie diese bei bestimmten internationalen Indizes abschneiden.
Es gebe zwar keine Datenbank zu allen ausländischen Universitäten und inwieweit diese militärnahe arbeiten oder Prinzipien der Forschungsethik missachten. Allerdings habe Australien knapp 100 chinesische Universitäten, mit denen häufig kooperiert wird, gescreent und bewertet. Dieser sogenannte ASPI-Tracker werde häufig genutzt. Ein entsprechendes EU-weites System zur Aufzeichnung von Fällen unerwünschter Einmischung ausländischer Institutionen in der EU scheitere unter anderem an Widerständen einzelner Mitgliedsstaaten. Als großes Problem sei das sehr unterschiedlich ausgeprägte Bewusstsein über das Thema im europäischen Forschungsraum. "Wenn eine Institution, die als Bedrohung wahrgenommen wird, es in Wien nicht in ein hochsensibles Forschungsprojekt schafft, versucht sie es vielleicht über die Partneruniversität in Prag", sagte Schuch.
Hintergrundchecks sind richtig teuer
Für aufwändige Hintergrundchecks, um etwa herauszufinden, wer die tatsächlichen Eigentümer und Finanzgeber von Forschungseinrichtungen sind, würden zwar kommerzielle Werkzeuge existieren, diese seien aber für die Universitäten nicht leistbar. Auch wenn es einen "Security Officer" gebe, der über öffentliche Informationen und Daten herauszufinden versucht, ob eine ausländische Einrichtung grünes Licht bekommt, sei sie aufgrund der aktuellen Dynamik nicht zwingend in einigen Jahren noch immer unbedenklich. Ausländisches Personal werde bereits schärfer gescreent. Im Blickfeld sei dabei nicht nur, an welchen Universitäten jemand tätig war und was er oder sie publiziert hat, sondern auch, mit wem er zusammengearbeitet hat, ob möglicherweise Fehlverhalten - beispielsweise in den sozialen Medien - vorliegt oder es sonstige Auffälligkeiten gibt.
Die Problematik sei in der Forschungs- und Wissenschaftspolitik schon eher erkannt worden als auf Ebene der Universitäten, der außeruniversitären Forschungseinrichtungen und der einzelnen Wissenschafter. Deshalb würden Ministerien und Agenturen nun versuchen, eine Selbstermächtigung der Forschenden zu erreichen, damit der Umgang mit diesem Thema des unerwünschten Einflusses verbessert werden kann. Derzeit funktioniere der Austausch zwischen den Universitäten nicht besonders gut: "Manchmal muss man das Rad immer wieder neu erfinden. Es braucht geschützte Räume, wo man über gewisse Vorfälle sprechen kann. Dann erkennt man vielleicht, dass man ja das gleiche Problem gehabt hat, und kann aus den Lösungsansätzen lernen", ist der Experte überzeugt.
Um schneller Bewusstsein für die unerwünschte ausländische Einmischung zu schaffen, sollte man sich laut Schuch das Beispiel Geschlechtergerechtigkeit in der Forschung zum Vorbild nehmen. Hier sei das Thema durch die Vorgabe, dass Forschungseinrichtungen nur an europäische Gelder kommen, wenn sie einen Gender-Equality-Plan entwickeln, vorangetrieben worden. Analog könnte man auch festlegen, dass Universitäten, die in kritischen Schlüsselbereichen arbeiten, nur dann Förderungen bekommen, wenn sie ein Sicherheitskonzept vorlegen. Nicht vergessen werden sollte, dass es absolute Sicherheit nicht gebe und auch einheimisches Personal für eine fremde Regierung arbeiten könnte.
Service: Kritische Technologien aus Sicht der EU: https://go.apa.at/wflEirgC; Anwendungen mit potenziell doppeltem Verwendungszweck: https://go.apa.at/hcDDXBhz; ASPI-Tracker: https://go.apa.at/pcUjB0GE