Erstmalige Synthese von zweidimensionalem Boroxid-Kristall
Einem italienisch-österreichischen Team ist es gelungen, eine neuartige zweidimensionale kristalline Form von Diborontrioxid zu synthetisieren. Dieser neue Kristall besteht vollständig aus Struktureinheiten, die bisher nur im ungeordneten, glasartigen Zustand bekannt waren, und markiert einen bedeutenden Meilenstein der Materialwissenschaft. Die in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlichte Studie bestätigt die Existenz einer bislang nur theoretisch vorhergesagten Struktur.
Boroxid ist ein wesentlicher Bestandteil bei der Herstellung von besonders widerstandsfähigen Gläsern wie Pyrex sowie von Hochleistungs-Emaille. Die Zugabe von Bortrioxid erhöht die Beständigkeit von Glas gegenüber Temperaturschocks und chemischen Reaktionen und macht es so ideal für anspruchsvolle industrielle und wissenschaftliche Anwendungen. Der Übergang von Boroxid in den glasartigen Zustand ist bislang nur unzureichend erforscht und zeigt Besonderheiten im Vergleich zu anderen Oxiden wie Siliziumdioxid, das sowohl in kristalliner als auch in amorpher Form vorkommt.
Auf die Anordnung der Atome kommt es an
"Der entscheidende Unterschied zwischen einem Kristall und einem Glas liegt in der geordneten Anordnung der Atome im Kristall, die im Glas fehlt", erklärt Alessandro Sala, Projektleiter und Forscher am CNR-IOM. "Beide Materialien teilen sich typischerweise eine grundlegende Struktureinheit aus wenigen Atomen, die wiederholt auftritt. In Kristallen ist dieses 'Bauelement' in einem präzisen, sich wiederholenden Muster angeordnet, während es in Glas ungeordnet vorkommt. Boroxid ist hier eine Ausnahme: Seine glasartige Phase enthält eine Struktureinheit namens Boroxin - ein Ring aus drei Bor- und drei Sauerstoffatomen -, die bislang noch nie in kristalliner Form beobachtet wurde. Unserem Team ist es gelungen, erstmals eine zweidimensionale kristalline Phase zu erzeugen, die vollständig aus diesen Boroxin-Einheiten besteht."
Das internationale Forschungsteam aus Forschenden am CNR - Istituto Officina dei Materiali (CNR-IOM), den Universitäten Triest und Innsbruck sowie dem Elettra Sincrotrone Trieste entwickelte nicht nur eine Methode zur Synthese des Materials, wobei Platin als Substrat verwendet wurde, sondern führte auch detaillierte Analysen seiner physikalischen Eigenschaften durch.
Außergewöhnlich hohe Auflösung
Laerte Patera von der Universität Innsbruck erklärt: "Mithilfe modernster Rastertunnelmikroskopie in Triest und Innsbruck konnten wir die Kristallstruktur dieses zweidimensionalen Materials bis hin zu einzelnen Atomen sichtbar machen. Diese außergewöhnlich hohe Auflösung ermöglicht es uns, die Position jedes Atoms im Gitter genau zu bestimmen und liefert wertvolle Einblicke, wie sich Atome während des Übergangs von kristallinen zu glasartigen Zuständen neu organisieren. Damit eröffnen sich auch neue Perspektiven für weitere Studien zur Materialtransformation."
Maria Peressi, Physikerin an der Universität Triest, ergänzt: "Unsere numerischen Simulationen zeigen, dass dieses poröse Material, das durch ein Gitter aus Boroxin-Ringen gebildet wird, außergewöhnlich flexibel ist - zehnmal elastischer als Graphen und damit das elastischste je entdeckte einlagige Material. Diese bemerkenswerte Flexibilität entsteht, weil die starren Boroxin-Ringe durch ein einzelnes Sauerstoffatom verbunden sind, das wie ein Scharnier wirkt und ihnen erlaubt, sich in der Ebene zu drehen. Experimente und Simulationen zeigen zudem, dass das Material nur schwach mit seinem Platin-Substrat interagiert, was darauf hindeutet, dass es sich mit konventionellen Techniken leicht ablösen lässt und so für den Einsatz in hochmodernen Geräten verfügbar gemacht werden kann."
Andrea Locatelli, Leiter der Nanospektroskopie-Beamline am Elettra Sincrotrone Trieste, betont den Einsatz modernster Technologien: "Synchrotronstrahlung war entscheidend, um die elementare Zusammensetzung, Reinheit und Kristallinität des Materials zu bestätigen. Wir können nun homogene Kristalle mit einer Ausdehnung von mehreren Dutzend Quadratmikrometern herstellen. Die enge Verzahnung von experimentellen Methoden und numerischen Simulationen war ausschlaggebend für den Erfolg dieses Projekts. Mit seinen einzigartigen Eigenschaften - ein Halbleiter mit großer Bandlücke, der zugleich hochflexibel und porös ist - besitzt dieses Material ein enormes Potenzial für Anwendungen von der Elektronik und Katalyse bis hin zu Quantentechnologien."