Spezielle Relativitätstheorie sichtbar gemacht
Wenn sich ein Objekt extrem schnell bewegt, - in der Größenordnung der Lichtgeschwindigkeit - dann gelten gewisse Grundannahmen nicht mehr, die wir für selbstverständlich halten - das ist die zentrale Konsequenz von Albert Einsteins spezieller Relativitätstheorie. Das Objekt hat dann eine andere Länge als im Ruhezustand, die Zeit vergeht für das Objekt anders als im Labor. All das wurde immer wieder in Experimenten bestätigt.
Eine interessante Konsequenz der Relativitätstheorie konnte bisher aber noch nicht beobachtet werden - der sogenannte Terrell-Penrose-Effekt. 1959 kamen die Physiker James Terrell und Roger Penrose (Nobelpreisträger 2020) unabhängig voneinander zum Ergebnis, dass schnell bewegte Objekte gedreht erscheinen müssen. Nachgewiesen wurde dieser Effekt bisher noch nicht. Nun gelang es erstmals in einer Kollaboration von TU Wien und Universität Wien mit Laserpulsen und Präzisionskameras, den Effekt nachzustellen - mit einer effektiven Lichtgeschwindigkeit von 2 Metern pro Sekunde.
Je schneller, umso kürzer: Einsteins Längenkontraktion
"Angenommen, eine Rakete rast mit neunzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit an uns vorbei. Dann hat sie für uns nicht mehr die Länge, die sie vor ihrem Start hatte, sondern sie ist um einen Faktor 2,3 kürzer", erklärt Prof. Peter Schattschneider von der TU Wien. Das ist die relativistische Längenkontraktion, auch Lorentz-Kontraktion genannt.
Allerdings lässt sich diese Verkürzung nicht fotografieren. "Wenn man nämlich ein Foto der vorbeirasenden Rakete machen würde, muss man bedenken, dass das Licht von unterschiedlichen Punkten unterschiedlich lange zur Kamera unterwegs war", erklärt Peter Schattschneider. "Licht, das von unterschiedlichen Punkten des Objekts kommend gleichzeitig im Objektiv oder in unserem Auge ankommt, wurde nicht gleichzeitig ausgesendet - und dadurch ergeben sich komplizierte optische Effekte."
Der rasende Würfel: scheinbar gedreht
Stellen wir uns etwa vor, das superschnelle Objekt sei ein Würfel. Dann ist die uns abgewandte Seite weiter weg von uns als die uns zugewandte Seite. Wenn nun gleichzeitig zwei Photonen unser Auge erreichen, eines von der vorderen Ecke des Würfels, eines von der hinteren Ecke des Würfels, dann war das Photon von der hinteren Ecke länger unterwegs. Es muss also zu einem früheren Zeitpunkt ausgesendet worden sein. Und zu diesem Zeitpunkt befand sich der Würfel an einer anderen Stelle als zu dem Zeitpunkt, an dem das Licht von der vorderen Ecke ausgesendet wurde.
"Das führt dazu, dass es für uns so aussieht, als wäre dieser Würfel gedreht", sagt Peter Schattschneider. "Das ist eine Kombination der relativistischen Längenkontraktion und der unterschiedlich langen Lichtlaufzeit von unterschiedlichen Punkten aus. Zusammen führt das zu einer scheinbaren Rotation, wie Terrell und Penrose voraussagten."
Im Alltag spielt das freilich keine Rolle, auch dann nicht, wenn wir ein extrem schnelles Auto fotografieren. Selbst das schnellste Formel-1-Auto bewegt sich nur ein winzig kleines Stückchen innerhalb der Zeitdifferenz zwischen dem Aussenden des Lichts von der uns abgewandten und der uns zugewandten Seite des Autos. Aber bei einer Rakete, deren Geschwindigkeit der Lichtgeschwindigkeit nahekommt, würde dieser Effekt deutlich sichtbar sein.
Der Trick mit der effektiven Lichtgeschwindigkeit
Technisch ist es heute unmöglich, Raketen auf eine Geschwindigkeit zu beschleunigen, bei der man diesen Effekt auf einem Foto sehen könnte. Doch die Gruppe unter der Leitung von Peter Schattschneider vom USTEM der TU Wien fand eine andere von der Kunst inspirierte Lösung: Man verwendete extrem kurze Laserpulse und eine Hochgeschwindigkeitskamera, um den Effekt im Labor nachzustellen.
"Wir bewegten einen Würfel und eine Kugel durch das Labor und nahmen die von unterschiedlichen Punkten dieser Objekte reflektierten Laserblitze zu unterschiedlichen Zeiten mit der Hochgeschwindigkeits-Kamera auf", erklären Victoria Helm und Dominik Hornof, die beiden Studierenden, die das Experiment durchführten. "Wenn man das Timing richtig plant, kann man auf diese Weise eine Situation erzeugen, die dieselben Ergebnisse liefert, als wäre die Lichtgeschwindigkeit nicht größer als 2 Meter pro Sekunde."
Bilder, die unterschiedliche Bereiche einer Landschaft zeigen, zu einem großen Bild zusammenzufügen, ist einfach. Was hier gemacht wurde, schließt erstmals den Faktor Zeit mit ein: Das Objekt wird zu vielen unterschiedlichen Zeitpunkten fotografiert. Dann kombiniert man jene Bereiche zu einem Standbild, die der Laserblitz zu dem Zeitpunkt beleuchtet, an dem von dieser Stelle das Licht ausgesendet worden wäre, wenn die Lichtgeschwindigkeit nur 2 m/s betrüge. So wird der Terrell-Penrose-Effekt sichtbar.
"Wir haben die Standbilder zu kurzen Videoclips der ultraschnellen Objekte kombiniert. Das Ergebnis war genau, was wir erwartet hatten", sagt Peter Schattschneider. "Ein Würfel erscheint verdreht, eine Kugel bleibt eine Kugel, aber der Nordpol befindet sich an einer anderen Stelle."
Wenn Kunst und Wissenschaft sich umkreisen
Die nun realisierte Demonstration des Terrell-Penrose-Effekts ist nicht nur ein wissenschaftlicher Erfolg - sie ist auch das Ergebnis einer außergewöhnlichen Symbiose zwischen Kunst und Forschung. Ausgangspunkt war ein Art-Science-Projekt um die Künstlerin Enar de Dios Rodriguez, das bereits vor einigen Jahren gemeinsam in Zusammenarbeit mit der Uni Wien und TU Wien die Möglichkeiten der ultraschnellen Fotografie und die dadurch entstehende "Langsamkeit des Lichts" erkundete.
Die Ergebnisse wurden nun im Fachjournal "communications physics" publiziert - ein Schritt, der vielleicht dabei helfen kann, die intuitiv so schwer zu fassende Welt der Relativitätstheorie ein bisschen besser zu verstehen.
Originalpublikation
D. Hornof et al., A snapshot of relativistic motion: visualizing the Terrell-Penrose effect, Communications Physics (2025). https://www.nature.com/articles/s42005-025-02003-6
Frei zugängliche Version: https://arxiv.org/abs/2409.04296
Mehr über das Science-Art-Projekt SEEC: https://seecphotography.com
Rückfragehinweis: Prof. Peter Schattschneider Institut für Festkörperphysik Technische Universität Wien +43 1 58801 13722 peter.schattschneider@tuwien.ac.at Dominik Hornof Atominstitut Technische Universität Wien dominik.hornof@tuwien.ac.at Aussender: Dr. Florian Aigner Kommunikation Technische Universität Wien florian.aigner@tuwien.ac.at TU Wien - Mitglied der TU Austria www.tuaustria.at