Ukrainische Geflüchtete haben hohes Vertrauen in EU - Demographie
Eine Studie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Kooperation mit der WU Wien hat erstmals systematisch Einstellungen und Werthaltungen untersucht. Zentrales Fazit: Ukrainische Geflüchtete vertreten liberalere Ansichten als die Bevölkerung in ihrer alten Heimat - und ihr Vertrauen in die EU ist höher als jenes der Österreicher:innen.
Millionen Ukrainer:innen mussten seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 ihre Heimat verlassen. Viele von ihnen fanden Zuflucht in europäischen Ländern, darunter auch in Österreich. Die Ankunft dieser Menschen wirft nicht nur Fragen nach Integration und Unterstützung auf, sondern auch nach ihren Einstellungen zu zentralen gesellschaftlichen Themen: Wie liberal oder traditionell sehen Geflüchtete die Rolle von Männern und Frauen in Familie und Gesellschaft? Wie stehen sie zur Demokratie und zu internationalen Institutionen? Und wie unterscheiden sich ihre Überzeugungen von denen der Menschen in der Ukraine und in ihrer neuen Heimat?
Forscher:innen vom Institut für Demographie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und vom Forschungsinstitut für Migrations- und Fluchtforschung und -management (FORM) der WU Wien geben darauf nun erstmals empirische Antworten, die im Fachjournal "Genus" veröffentlicht wurden. Basis der Analyse bilden dabei drei große Datensätze: eine Befragung unter ukrainischen Ankommenden in Österreich im Frühjahr 2022, der World Values Survey für die Ukraine von 2020 sowie die European Values Study für Österreich von 2018.
Zwischen liberal und konservativ
Beim Thema Geschlechterrollen fällt auf: Ukrainische Geflüchtete sind liberaler eingestellt als die Bevölkerung in ihrer Heimat, aber konservativer als die Österreicher:innen. So befürworten in der Ukraine 28 % die Aussage, Männer sollten bei knappen Jobs Vorrang haben, unter den Geflüchteten in Österreich nur 12 % - ähnlich wie in der österreichischen Bevölkerung. Deutliche Unterschiede gibt es jedoch in der Ablehnung: Während fast die Hälfte der Österreicher:innen, genauer gesagt 45 %, vehement widerspricht, tun dies nur 23 % der Geflüchteten.
Ob liberaler oder traditioneller gedacht wird, hat viel mit Alter, Bildung und Familienstand zu tun: "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Geflüchteten eine soziodemografisch ausgewählte Gruppe darstellen - meist jünger, besser gebildet und häufiger kinderlos - und deshalb liberaler eingestellt sind als die Durchschnittsbevölkerung ihres Herkunftslandes", erklärt Bernhard Riederer, Erstautor der Studie und ÖAW-Demograph.
Ausgeprägtes Vertrauen in die Europäische Union
Beim Thema Demokratie ähneln die Einstellungen der ukrainischen Geflüchteten jenen in der Ukraine stärker als denen in Österreich. Während 69 % der ukrainischen Bevölkerung 2020 Demokratie positiv bewerteten, waren es unter den Geflüchteten in Wien 2022 sogar 82 %. Deutlich höher fällt die Zustimmung jedoch in Österreich aus, wo 94 % Demokratie als gutes System ansehen.
Auffällig ist jedoch ihr deutlich höheres Vertrauen in die Europäische Union: Über 90 % der Geflüchteten gaben an, großes oder eher großes Vertrauen zu haben. Zum Vergleich: In der Ukraine vertrauten 46 % der Bevölkerung der EU, in Österreich lediglich 41 %. Dieser Befund bleibt auch dann stabil, wenn man soziodemografische Merkmale wie Bildung, Einkommen oder Alter berücksichtigt.
"Offenbar spielen hier weniger strukturelle Faktoren eine Rolle, sondern vielmehr die prägenden Erfahrungen des Krieges und die internationale Unterstützung, die die Ukraine seit 2022 erfährt", sagt Co-Autorin und ÖAW-Forscherin Isabella Buber-Ennser.
Kaum Veränderungen mit zunehmender Kriegsdauer
"Besonders die ausgeprägte pro-europäische Haltung könnte langfristig nicht nur die Integration in Österreich erleichtern, sondern auch den Demokratisierungsprozess in der Ukraine unterstützen", sagt Co-Autorin und WU-Forscherin Judith Kohlenberger. Eine erneute Befragung ukrainischer Geflüchteter im Sommer 2025 zeigt, dass das Vertrauen in die EU zwar um wenige Prozentpunkte zurückgegangen ist, aber dennoch weiterhin sehr hoch ist.
Publikation
Riederer, B., Buber-Ennser, I., Setz, I., Kohlenberger, J., & Rengs, B. (2025). Attitudes of Ukrainian refugees in Austria: Gender roles, democracy, and confidence in international institutions. Genus 81, 3.
DOI: doi.org/10.1186/s41118-024-00230-3
Datenquelle: Ukrainian Arrivals in Austria (UkrAiA)
Rückfragehinweis: Sven Hartwig Leiter Öffentlichkeit & Kommunikation Österreichische Akademie der Wissenschaften Dr. Ignaz Seipel-Platz 2, 1010 Wien T +43 1 51581-1331 sven.hartwig@oeaw.ac.at
Wissenschaftlicher Kontakt: Bernhard Riederer Institut für Demographie Österreichische Akademie der Wissenschaften T +43 1 51581-7748 bernhard.riederer@oeaw.ac.at
Das könnte Sie auch interessieren
News
Erstmals zeigt das Kolosseum in Rom seinen "Korridor des Commodus"
Partnermeldung
Jesuitenrefektorium erstrahlt in neuem Glanz: Uni Graz eröffnete Standort für Sport- und Bewegungswissenschaften
News