Was wir von aggressiven Zebrafischen lernen können
Aggression ist ein komplexes Verhalten. Es hängt von zahlreichen Faktoren wie den eigenen Erfahrungen, der Erziehung, dem sozialen Kontext, der Persönlichkeit sowie der Genetik ab. Den genetischen Einfluss darauf untersuchen Florian Reichmann und sein Team vom Lehrstuhl für Pharmakologie an der Med Uni Graz. Mithilfe genetisch veränderter Fische wollen sie Einblicke in die Entstehung von Verhaltensweisen gewinnen und möglicherweise Rückschlüsse auf das menschliche Verhalten ziehen.
Der Zebrafisch als Modell
Untersuchungsmodell von Florian Reichmanns Arbeitsgruppe sind Zebrafische. Es handelt sich dabei um kleine, maximal fünf Zentimeter lange Karpfenfische, die lange Zeit vor allem als Aquarienfische beliebt waren, in letzter Zeit jedoch zunehmend als Modellorganismus in der Forschung verwendet werden. Etwa 70 Prozent der Zebrafisch-DNA haben Orthologe (also Gene mit ähnlicher Funktion) im Vergleich zum menschlichen Genom; bei erkrankungsrelevanten Genen liegt diese Zahl sogar bei etwa 82 Prozent. Weitere Besonderheiten des Zebrafisches sind seine schnelle Entwicklung - bereits 24 Stunden nach der Befruchtung schlägt das Herz -, seine hohe Fruchtbarkeit mit mehreren Hundert Nachkommen pro Paar und seine fast vollständige Transparenz im Larvenstadium, was vielfältige Möglichkeiten für die In-vivo-Mikroskopie eröffnet.
Für ihre Forschung am Zebrafischmodell haben Florian Reichmann und sein Team das und sein Team das Zebrafisch-Gen lrrtm4l1 ins Auge gefasst. Es ist dem menschlichen Gen LRRTM4 ortholog. Letzteres "kodiert ein Protein Gen kodiert ein Protein, das entscheidend ist für die Entwicklung von Synapsen (Verbindungsstellen von Nervenzellen) und deren adäquate Funktion", erzählt Florian Reichmann. Polymorphismen, also Veränderungen beziehungsweise Fehler in diesem Gen, wurden mit Aggressionsproblemen bei Kindern, Autismus-Spektrum-Störungen und dem Tourette-Syndrom in Verbindung gebracht. Um diesen Zusammenhang genauer zu untersuchen, züchteten die Forscher*innen Zebrafische, bei denen das orthologe Gen lrrtm4l1 "ausgeschaltet" wurde. Anschließend wurden das Verhalten der Fische sowie molekulare Veränderungen in ihren Gehirnen genau analysiert.
Friedliche Fische
Ein Blick ins Aquarium hat bei den genetisch veränderten Fischen interessante Ergebnisse geliefert. So konnte die Forschungsgruppe feststellen, dass die transgenen Fische allgemein weniger aggressiv waren. Dies legt nahe, dass dieses Gen eine wichtige Rolle bei der Aggressionsentstehung spielt. Der Grund für die reduzierte Aggressivität könnte in erhöhter Ängstlichkeit liegen, wahrscheinlich rührt sie aber eher von einer veränderten Wahrnehmung von "Gegnern" und/oder einem verringerten Angriffswillen her. Im Gehirn konnten mithilfe von Omics-Technologien und gezielten Neurotransmittermessungen zahlreiche Veränderungen festgestellt werden. Von besonderem Interesse sind ein höherer Dopamin-Umsatz - Dopamin ist ein Neurotransmitter, der schon in früheren Studien mit Aggression in Verbindung gebracht wurde - sowie reduzierte Methylvanillat-Konzentrationen. Methylvanillat ist ein Derivat von Vanillin, welches mit neuroprotektiven und antioxidativen Effekten in Verbindung gebracht wurde.
LRRTM4 als Zielscheibe
Aus translationaler Sicht hat die Forschung an den Zebrafischen gezeigt, dass LRRTM4 durchaus eine wichtige Rolle im menschlichen Verhalten spielen könnte. "Hier könnte beispielsweise ein Ansatz entstehen, um übermäßige Aggression oder Angststörungen im Rahmen von neuropsychiatrischen Erkrankungen zu behandeln", führt Florian Reichmann aus. Dafür sind jedoch weitere Forschungen zur Entwicklung geeigneter Wirkstoffe sowie die Bestätigung der Effekte in anderen Modellorganismen nötig.
Link zur Studie:
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/apha.70042
Weitere Informationen und Kontakt: Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr.med.univ. Florian Reichmann, PhD. Lehrstuhl für Pharmakologie Forschungsfeld Neurowissenschaften Medizinische Universität Graz Tel.: +43 316 385 74122 E-Mail: florian.reichmann@medunigraz.at
Steckbrief: Florian Reichmann
Florian Reichmann ist Tenure-Track-Professor am Lehrstuhl für Pharmakologie des Otto Loewi Forschungszentrums und leitet an der Medizinischen Universität Graz eine Forschungsgruppe zum Thema "Behavioral Neuropharmacology". Der Pharmakologe verfügt über langjährige Expertise in der Verhaltensforschung und der experimentellen Neuropharmakologie. Seine Schwerpunkte sind die Erforschung der genetischen Komponente pathologischer Verhaltensänderungen sowie der Mikrobiota-Darm-Gehirn-Achse und die Analyse von Wechselwirkungen zwischen genetischen und nicht genetischen Faktoren. Ziel seiner Forschung ist es, neue therapeutische Angriffspunkte für die Behandlung von pathologischen Verhaltensauffälligkeiten im Rahmen psychiatrischer, neurologischer und chronisch entzündlicher Erkrankungen zu finden.