Tanzende Blasen beim Vakuumzerfall: Quantenmaschine modelliert, wie "falsches Vakuum" in "tanzende" Blasen zerfällt
Unser Universum könnte in einem so genannten falschen Vakuum gefangen sein, bis ein kosmischer Übergang zu einem stabileren echten Vakuum erfolgt. Physiker:innen der University of Leeds, des Forschungszentrums Jülich und des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben diesen Vakuumzerfall modelliert und gezeigt, wie sich die Blasen des echten Vakuums bilden und interagieren. Die in Nature Physics veröffentlichten Ergebnisse könnten Aufschluss über die Entstehung des Universums und sein Schicksal in einigen Milliarden Jahren geben.
Sidney Coleman, der Pionier der Quantenfeldtheorie, schlug vor fast 50 Jahren vor, dass unser Universum möglicherweise nicht seinen stabilsten Zustand erreicht hat, sondern in einem so genannten falschen Vakuum gefangen ist. Demzufolge könnte das Universum, wie wir es kennen, kurz vor dem Übergang in einen noch stabileren, echten Vakuumzustand stehen. Ein sanfter Übergang wird das allerdings sicher nicht sein. Vielmehr könnte es zu einer katastrophalen Veränderung der Struktur des Universums kommen. „Wir sprechen von einem Prozess, durch den das Universum seine Struktur vollständig verändern würde. Die fundamentalen Konstanten könnten sich augenblicklich ändern, und die Welt, wie wir sie kennen, würde wie ein Kartenhaus einstürzen“, sagt der leitende Autor der Studie, Zlatko Papić, Professor an der Universität von Leeds, Großbritannien. Den Zeitrahmen vorherzusagen, bleibt jedoch eine Herausforderung, die sich wahrscheinlich über Millionen oder sogar Milliarden von Jahren erstreckt. „Was wir wirklich brauchen, sind kontrollierte Experimente, um diesen Prozess zu beobachten und seine Zeitskalen zu bestimmen.“
Nun konnte eine internationale Zusammenarbeit, an der Papić, Jaka Vodeb vom Forschungszentrum Jülich (Deutschland) und Jean-Yves Desaules, Postdoc in der Forschungsgruppe von Maksym Serbyn am Institute of Science and Technology Austria (ISTA), beteiligt waren, diesen Prozess, des sogenannten Vakuumzerfalls modellieren. Durch die Neudefinition unseres Verständnisses der Quantendynamik könnte diese Arbeit dazu beitragen, die Quanteninformatik voranzubringen und somit ihr Potenzial, einige der schwierigsten Probleme im Zusammenhang mit der grundlegenden Physik des Universums zu lösen.
Ein Tanz der Vakuumblasen und Qubits
Viele grundlegende Fragen zum Mechanismus des Vakuumzerfalls sind bis heute offen geblieben, zum Beispiel wie sich die Blasen des echten Vakuums bilden, bewegen, interagieren und ausbreiten. Um diesen schwer fassbaren Mechanismus zu verstehen, mussten die Physiker:innen Strategien entwickeln, um ihn im Labor zu modellieren. Zu diesem Zweck verwendeten sie eine Art Quantencomputer, der für die Lösung komplexer Optimierungsprobleme entwickelt wurde, d. h. für die Suche nach der besten Lösung aus einer Reihe von möglichen Lösungen. Diese Maschine, eine von D-Wave Quantum Inc. Entwickelte Quantenglühanlage (Englisch: quantum annealer) mit 5564 Qubits, ermöglichte es dem Team, die Vakuumzustände mithilfe von Qubits zu modellieren – den grundlegenden Informationseinheiten im Quantencomputing. „Indem wir diese 5564 Qubits zunächst in bestimmte Konfigurationen brachten, die das falsche Vakuum darstellen, konnten wir die Bedingungen sorgfältig kontrollieren, um die Bildung von Blasen auszulösen, die das echte Vakuum modellieren“, sagt ISTA-Forscher Desaules. „Die Blasenbildung ist der erste Schritt des Vakuumzerfalls. Wir freuen uns sehr, dass wir dies in Echtzeit beobachten konnten.“
Die Experimente veränderten die Sichtweise des Teams auf den Mechanismus des Vakuumzerfalls. Im Gegensatz zu typischerweise untersuchten Regelwerken sahen sie, dass große quantisierte Blasen im Wesentlichen in Isolation eingefroren waren. Die einzige Möglichkeit für solch große Blasen, sich weiterzuentwickeln, ist die Wechselwirkung mit einer benachbarten Blase. Eine der beiden Blasen kann dann schrumpfen, während die andere wächst. Und sobald eine Blase auf eine sehr kleine Größe geschrumpft ist, beginnt sie frei zu „tanzen“. „Unsere Ergebnisse stellen wahrscheinlich ein neues physikalisches Bild der Dynamik des Vakuumzerfalls dar. Wir könnten uns den Mechanismus als ein heterogenes Gas von Blasen vorstellen, in dem die größeren oder schwereren Blasen direkt miteinander interagieren, während die kleineren, leichteren Blasen frei umherhüpfen“, sagt Desaules.
Wie sich die Quanteninformatik weiterentwickeln könnte
Die Wissenschafter:innen unterstreichen das Potenzial der Quantenglühanlage für die Lösung realer, praktischer Probleme, die über den Bereich der theoretischen Physik hinausgehen. Sie sagen, ihre Studie zeigt, dass Quantenglühanlagen viel mehr können als die Optimierungsaufgaben, für die sie konzipiert wurden, da sie auch Phänomene im Zusammenhang mit der Dynamik, wie die Blasenbildung, erfassen können. Vodeb schließt: „Diese Durchbrüche verschieben nicht nur die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnisse, sondern ebnen auch den Weg für zukünftige Technologien, die Bereiche wie Kryptographie, Materialwissenschaften und energieeffizientes Rechnen revolutionieren könnten.“
Publikation:
Jaka Vodeb, Jean-Yves Desaules, Andrew Hallam, Andrea Rava, Gregor Humar, Dennis Willsch, Fengping Jin, Madita Willsch, Kristel Michielsen, and Zlatko Papić. 2025. Stirring the false vacuum via interacting quantized bubbles on a 5,564-qubit quantum annealer. Nature Physics. DOI: 10.1038/s41567-024-02765-w
Projektförderung:
Dieses Projekt wurde durch Mittel aus dem deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Projekt HPCQS (101018180), dem European High-Performance Computing Joint Undertaking (EuroHPC JU), dem Leverhulme Trust Research Leadership Award RL-2019-015, den EPSRC Grants EP/R513258/1 und EP/W026848/1 sowie dem Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 der Europäischen Union im Rahmen des Marie Skłodowska-Curie Grant Agreement No.101034413 finanziert.
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