Kapuzineraffen verschleppen Brüllaffenbabys als lebende Accessoires
Junge Männchen einer Kapuzineraffen-Gruppe in Panama haben eine Marotte entwickelt, die für den Nachwuchs einer anderen Affenart tödlich ist: Sie verschleppen kleine Brüllaffen und tragen sie herum - kümmern sich ansonsten aber nicht um sie, wie Forschende im Fachjournal "Current Biology" berichten. In bisher beobachteten Fällen seien die kleinen Äffchen darum gestorben. Initiiert hat das Verhalten nach derzeitigem Wissensstand ein "Joker" genanntes junges Männchen.
Die Panama-Kapuzineraffen (Cebus capucinus imitator) auf Jicarón Island im panamaischen Coiba-Nationalpark werden seit 2017 mit einer Reihe von Kameras beobachtet, um eine einzigartige Tradition der Gruppe erforschen zu können: die Verwendung von Steinwerkzeugen zum Knacken harter Nüsse und Schalentiere. Beim Sichten von Videomaterial dazu fiel Zoë Goldsborough vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz 2022 auf, dass ein junges Männchen ein Baby trug – und zwar das einer völlig fremden Art: einen kleinen Brüllaffen.
Versuch einer Adoption?
"Zunächst dachten wir, es könnte sich um einen Fall von Adoption handeln", sagte Goldsborough. In der Vergangenheit haben sich Tiere immer wieder bedürftiger Babys anderer Arten angenommen. Auch von Kapuzineraffen ist mindestens ein Fall bekannt, wie das Team erläutert: 2006 adoptierte ein Kapuzinerpaar ein Marmoset-Jungtier und zog es erfolgreich auf. Allerdings adoptierten fast immer nur Weibchen Jungtiere. "Die Tatsache, dass ein Männchen der ausschließliche Träger dieser Babys war, war rätselhaft", so Goldsborough.
Sie durchforstete das Bild- und Videomaterial des Jahres auf Hinweise dazu, ob es sich um einen zufälligen Einzelfall handelte – und entdeckte insgesamt vier Brüllaffenjunge, die getragen wurden. Fast immer war "Joker" der Träger. Dann aber gab es monatelang keine weiteren solchen Episoden.
Kapuzineraffen sind äußerst neugierig
"Wir kamen zu dem Schluss, dass es sich um ein einzelnes Individuum handeln musste, das etwas Neues ausprobierte", erklärte Brendan Barrett, Gruppenleiter am Institut. Das sei bei Kapuzineraffen nicht ungewöhnlich: Die Tiere seien zutiefst neugierig und versuchten ständig, auf verschiedene Weise mit ihrer Umwelt zu interagieren.
Auf fünf Monate später aufgenommenen Bildern und Videos waren dann plötzlich wieder Brüllaffenbabys auf dem Rücken von Männchen zu sehen. "Wir gingen davon aus, dass Joker wieder am Werk war", sagte Goldsborough. Doch tatsächlich hätten vier andere junge Männchen das Verschleppen und Herumtragen übernommen.
Für Brüllaffen kein Happy End
Insgesamt zeigen die 15 Monate umspannenden Aufnahmen mindestens elf gestohlene Brüllaffen-Junge, die bis zu neun Tage lang herumgeschleppt werden. Vier wurden schließlich tot gefunden – wahrscheinlich habe auch keines der anderen überlebt, hieß es. "Die Kapuzineraffen haben den Babys nicht wehgetan, aber sie konnten nicht die Milch bereitstellen, die die Säuglinge zum Überleben brauchen", erklärte Goldsborough.
Wie die Kapuzineraffen die Brüllaffen entführten, ist unklar, weil die Kamerafallen keine Aktivitäten in den Bäumen erfassen, wo die Entführungen wahrscheinlich stattfanden. Einen erkennbaren Nutzen gibt es den Forschenden zufolge für die Entführer – die nicht einmal mit den verschleppten Äffchen spielten – nicht.
Makaberes Verhalten aus Langeweile?
Bei den Kapuzineraffen von Jicarón seien es auch ausschließlich Männchen, die Werkzeuge verwendeten, geben die Forschenden zu bedenken. Vieles deute darauf hin, dass beide sozial erlernten Traditionen derselben Quelle entspringen könnten: Langeweile. Damit plagen sich die Tiere, die auf der Insel ein komfortables Leben mit wenig Feinden und Konkurrenten führen, den Forschenden zufolge durchaus.
Generell müsse nicht Notwendigkeit die Mutter von Erfindungen sein, erläutert das Team. Auch Langeweile und viel Freizeit seien eine Triebfeder. "Die Aufnahmen vermitteln uns eine faszinierende Geschichte von einem Individuum, das zufällig ein Verhalten begann und das von anderen jungen Männchen übernommen wurde", sagte Barrett.
Lachs-Hut und Halm-Accessoire
Solche innerhalb einer Population entstehenden Traditionen oder Modeerscheinungen wurden den Forschenden zufolge auch schon bei anderen Arten beobachtet. So setzen sich Schwertwale "Lachs-Hüte" auf: Sie balancieren tote Lachse auf dem Kopf. Ein Schimpansen-Weibchen in Sambia wiederum begann, grundlos einen Grashalm wie ein Accessoire im Ohr zu tragen – letztlich ahmten fast alle Tiere der Gruppe diese Mode nach.
Service: Studie nach Ablauf der Sperrfrist: https://dpaq.de/L5efmMf - Zeitleiste zu den Beobachtungen mit Video- und Tonmaterial: https://dpaq.de/YYtbFvY - Video zur Studie: https://dpaq.de/TWxsTkW