Ernährungstrends: Von Giraffenfleisch und anderen regionalen Spezialitäten
Die Wechselwirkungen zwischen dem Angebot von Lebensmittelindustrie und -handel sowie der Nachfrage durch Konsumentinnen und Konsumenten haben großen Einfluss auf das, was im Supermarkt in den Regalen steht. Wohin die kulinarische Reise geht und welche Hinweise neue Erkenntnisse aus der Forschung darauf geben, haben die Boku-Fachleute Petra Riefler vom Institut für Marketing und Innovation und Klaus Dürrschmid vom Institut für Lebensmittelwissenschaften im Gespräch mit APA-Science erklärt.
"Die jüngere Zielgruppe ist in all ihren Konsumentscheidungen durch Social Media geprägt. Bei Älteren punkten noch immer Flugblätter, Aktionen sowie Verpackung und Platzierung der Ware. Den größten Einfluss auf unser Essverhalten hat aber nach wie vor das Produktionssystem", so Riefler. Es sei eher die Angebotsseite, die das Konsumverhalten stark lenke, durch die Entscheidung, was angebaut, produziert und subventioniert werde. "Das erste Ziel von Produzenten und Handel ist das ökonomische Überleben und weniger, dem Menschen etwas Gutes zu tun", stimmte Dürrschmid zu. Die Frage, wer wen lenkt, Angebot oder Nachfrage, wird von den beiden Fachleuten auch im Rahmen einer Konferenz der Boku University zum Thema "FarmFoodFuture – Lösungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft und nachhaltige Ernährung" am 22. Mai in Wien zusammen mit weiteren Expertinnen und Experten diskutiert.
Neben der Gestaltung des Systems der Lebensmittelversorgung gebe es zahlreiche weitere Einflussfaktoren: "Relevant können auch das Design der Verpackung, die Platzierung im Regal oder ein spezielle Wording für die Beschreibung eines Produktes sein", sagte Dürrschmid. Ein ganz zentraler Punkt bei der Steuerung des Verhaltens sei es, Produkten und sensorischen Wahrnehmungen eine Bedeutung für die Konsumentinnen und Konsumenten zuzuweisen. Nur wenn das gelinge, bestehe die Chance, solche Produkte stärker zu verkaufen.
Konsumverhalten ändert sich nur langsam
Das Konsumverhalten sei generell stark gewohnheitsbasiert und ändere sich nur langsam, betonte Riefler: "Rund 80 Prozent der Dinge im Einkaufskorb sind immer dieselben. Wir kaufen habitualisiert, routiniert, das hilft uns als Konsumierende wahnsinnig viel Zeit und Energie zu ersparen." Einen großen Einfluss auf das Ernährungsverhalten habe das Kindesalter. Es gebe auch in Österreich Initiativen, hier anzusetzen, etwa über sensorische Schulungen in Kindergärten, so Dürrschmid. "Aber eine langfristige Änderung ist das Bohren ganz dicker Bretter. Wann man es schleifen lässt, wollen alle ihre Schnitzerl haben, die Nudeln mit roter Sauce und eine Cola dazu." Auch in anderen Lebensphasen könne es zu Änderungen kommen, etwa wenn in der Pubertät versucht werde, "sich nicht so wie die spießigen Eltern zu ernähren".
Im Laufe dieser Lebensphasen gebe es viele individuelle Motive, was man mit dem Essen erreichen will, sagte Riefler. Ein großer Trend sei derzeit beispielsweise verträgliche Ernährung – Stichwort Darmgesundheit beziehungsweise gluten- oder laktosefreie Produkte. Für manche Gruppen habe das Tierwohl große Bedeutung, "wissenschaftlich ein ganz spannendes Thema". Sie verweist auf das "Fleisch-Paradoxon", also dass man Tiere eigentlich gerne mag, aber sie gleichzeitig auch gerne isst, was zu einer gewissen kognitiven Dissonanz führe. Ein Dauerthema sei auch Regionalität, die durch die Pandemie und Aspekte wie die Resilienz der Landwirtschaft oder die Versorgungssicherheit noch stärker in den Fokus rücke.
Ebenfalls durch die Covid-19-Pandemie stark befördert wurde Convenience, verwies Dürrschmid auf die Vielzahl von Essenslieferdiensten. Das sei "der größte Trend der vergangenen Jahrzehnte", es gebe aber ein zunehmend bipolares Ernährungsverhalten: "Während der Arbeitszeit isst man ein schnelles Fertiggericht oder ein abgepacktes Weckerl und am Wochenende kocht man groß auf und widmet sich dem hedonischen Aspekt des Essens", so der Wissenschafter.
Wenig Wissen über Mindesthaltbarkeitsdatum
Ein noch ungelöstes Problem seien Lebensmittelverschwendung und Abfallvermeidung. "Man weiß aus vielen Studien, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum mit einem Verbrauchsdatum verwechselt wird. Die Leute glauben, danach ist es verdorben", stellte Riefler fest. Dabei sei es nur ein Indikator des Herstellers, dass mindestens bis dahin alle Produktmerkmale in bester Qualität vorhanden wären. Man habe in Studien versucht, den Leuten das Riechen, Schmecken und Sehen näher zu bringen, um festzustellen, ob dann Joghurt auch nach dem Überschreiten des Mindesthaltbarkeitsdatums noch verwendet werde, leider ohne großen Erfolg. Eine Abschaffung dieser Kennzeichnung würden rund 80 Prozent ablehnen, "weil sich die Leute selbst gar nicht zutrauen, das sensorisch zu testen".
Neben der Reduktion der Lebensmittelverschwendung gebe es noch viele weitere Hebel auf dem Weg zur Nachhaltigkeit, etwa die Anpassung der Subventionen, eine CO2-Bepreisung oder ein stärkerer Fokus auf pflanzliche Ernährung. Allerdings werde für 2024 gerade einmal ein Umsatz von rund 45 Millionen Euro mit Fleischersatzprodukten in Österreich erwartet. "Das sind ungefähr fünf Euro pro Kopf und Jahr, die für Produkte wie Burger aus Erbsenprotein, ein Schnitzel aus Seitan oder Würstel aus Soja ausgegeben werden", so Riefler. Es werde aber ein sehr starkes Marktwachstum prognostiziert. Die stärkere Nutzung von pflanzlichen Rohstoffen als Proteinquelle habe sich in den vergangenen Jahren jedenfalls als große Hoffnung der Lebensmittelproduzenten etabliert, sagte Dürrschmid, die darauf hinwies, dass Fleischersatzprodukte - wie viele andere Lebensmittel - häufig hochverarbeitet sind. Pflanzliche Ernährung könne auch ohne solche Ersatzprodukte auskommen.
Revolution durch Biotechnologie
Großes Potenzial sehen die Fachleute künftig in der Biotechnologie. "Sie wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten als drittes Standbein der Lebensmittelversorgung – neben der Nutzung von Pflanzen und Tieren – etablieren", gab sich Dürrschmid überzeugt. Beispielsweise wäre es durch Fermentations- und Kultivierungsprozesse möglich, völlig neue Produkte zu gestalten. "Biotechnologisch ist es überhaupt kein Problem, Fleisch von Pandabären oder Giraffen zu produzieren. Es könnte sich schlussendlich eine völlig neue kulinarische Welt erschließen", gab sich der Experte überzeugt. Er strich zudem hervor, dass dafür wahrscheinlich deutlich weniger Fläche verbraucht würde als in der konventionellen Landwirtschaft und auch weniger Transporte nötig wären. Ein großer Hemmschuh ist aus seiner Sicht die vor allem in Europa und ganz speziell in Österreich herrschende Aversion gegen neue Technologien bei der Produktion von Lebensmitteln.
Produkte aus der In-Vitro-Produktion – Fleisch, Eier, Milchprodukte – sieht auch Riefler als Zukunftsthema: "Da wird aktuell viel Geld in Forschung und Entwicklung investiert." Der Preis für sogenanntes kultiviertes Fleisch werde sich laut Prognosen aufgrund von Skalierungseffekten deutlich reduzieren. "Wenn hier große globale Unternehmen entstehen, kann das der kleinstrukturierten Bauernschaft in Österreich schon wehtut. Daher kommt vermutlich auch die große Zurückhaltung", sagte Riefler. Konsumentinnen und Konsumenten würden dem Thema aber relativ offen gegenüberstehen. Mehr als die Hälfte könnte sich vorstellen, entsprechende Produkte zu probieren. Lediglich 20 Prozent gelten als Totalverweigerer. Als Vorteile werden Tierwohl, weniger Massentierhaltung und die Ernährungssicherheit gesehen. Dem könnten Ekel oder Neophobie, also die Angst vor neuen Produkten oder Technologien, entgegenwirken.
Service: "FarmFoodFuture – Lösungen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft und nachhaltige Ernährung", 22. Mai, 9 bis 17.30 Uhr, im Großen Hörsaal des TÜWI der BOKU, Peter-Jordan-Straße 76, 1190 Wien, Anmeldung: https://short.boku.ac.at/anmeldung-2024
(Diese Meldung ist Teil einer bezahlten Medienkooperation mit der BOKU University.)