Erstmals beschrieben: neue Krebsvorstufen bei Gebärmutterhalskrebs entdeckt
Gebärmutterhalskrebs ist weltweit die vierthäufigste Krebserkrankung bei Frauen. Zwei Studien von Forscher*innen der Medizinischen Universität Graz rund um Olaf Reich, Sigrid Regauer und Karl Kashofer verändern wesentlich unser Verständnis über diesen Krebs. Die neuen Ergebnisse zeigen erstmals: HPV-assoziierte Krebsvorstufen entwickeln sich am Gebärmutterhals häufig über sogenannte "dünne high-grade squamöse intraepitheliale Läsionen" (dünne HSIL) und damit oft an einem anderen für Krebs empfindlichen Ort des Gebärmutterhalses als bisher angenommen. Darüber hinaus gibt es neben dem bekannten, HPV-assoziierten Weg zur Krebsentstehung auch einen zweiten, HPV-unabhängigen Pfad mit anderen und ungewohnten biologischen Eigenschaften von daraus resultierenden Tumoren.
Von der HPV-Infektion zum Gebärmutterhalskrebs
Jährlich erkranken weltweit etwa 600.000 Frauen an Gebärmutterhalskrebs, ca. die Hälfte der Frauen stirbt daran - vor allem in den Ländern mit unzureichender Vorsorge. Damit ist der Gebärmutterhalskrebs die vierthäufigste bösartige Erkrankung von Frauen. In Österreich sind es etwa 400 Neuerkrankungen pro Jahr. Die Hauptursache für diese Krebsart ist eine fortbestehende Infektion mit bestimmten Typen des humanen Papillomavirus (HPV), das zumeist durch sexuellen Kontakt übertragen wird. HPV ist weit verbreitet und wird in der Regel durch das Immunsystem infizierter Personen gut kontrolliert. Im Einzelfall und oft unter dem Einfluss von Kofaktoren (wie z. B. Rauchen) kann HPV zu Schädigungen der Schleimhaut am Gebärmutterhals führen, die sich innerhalb von Jahren von leichten über schwere Veränderungen zu Krebs entwickeln. Besonders gefährlich sind die sogenannten Hochrisikotypen wie HPV 16 und 18, die das Risiko für eine Erkrankung im Vergleich zur Normalbevölkerung um das ca. 400-Fache erhöhen und für 70 % aller Fälle von Gebärmutterhalskrebs verantwortlich sind. Dank Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen mit HPV-Tests und Pap-Abstrichen ist die Krankheit heute in vielen entwickelten Ländern deutlich rückläufig - vorausgesetzt, sie wird rechtzeitig erkannt.
HPV-assoziierter Krebs: "dünne HSIL" als bisher unbekannte Krebsvorstufe
Bisher war unklar, ob "dünne high-grade squamöse intraepitheliale Läsionen" (dünne HSIL) tatsächlich als echte Krebsvorstufen gelten können. Die im Fachjournal Laboratory Investigation publizierte Studie liefert erstmals den genetischen Beweis: Dünne HSIL zeigen ähnliche Veränderungen im Erbgut und in der Genaktivität wie bösartige und fortgeschrittene Tumorerkrankungen. Damit ist belegt, dass es sich bei dünnen HSIL um frühe Formen des HPV-bedingten Gebärmutterhalskrebses handelt. Diese dünnen HSIL sind bisher erschwert zu erkennen, wirken unter dem Mikroskop und auch bei klinischen Untersuchungen mit dem Kolposkop zumeist wenig auffällig und erfordern zur Diagnostik oft den Einsatz von sogenannten Biomarkern. "Wir konnten außerdem zeigen, dass sich diese häufige HPV-assoziierte Krebsvorstufe nicht wie bisher angenommen im Plattenepithel der äußeren Schleimhaut am Gebärmutterhals, sondern im Zylinderepithel (innere Schleimhaut des Gebärmutterhalses) ohne Vorstufen von leichten Veränderungen entwickelt", erklärt Olaf Reich, Leiter der Dysplasie- und Forschungseinheit der Klinischen Abteilung für Gynäkologie der Medizinischen Universität Graz. "Diese Erkenntnisse haben wichtige Folgen für die zukünftige Vorsorge, Diagnostik und Therapie", so der Forscher weiter.
HPV-unabhängiger Krebs: seltene Vorstufen erstmals beschrieben
In einer zweiten, im American Journal of Surgical Pathology veröffentlichten Studie beschreiben die Forscher*innen erstmals HPV-negative Schleimhautveränderungen am Gebärmutterhals, die sich unabhängig von HPV zu Krebs entwickeln können. Diese seltenen sogenannten "differenzierten zervikalen intraepithelialen Neoplasien" (d-CIN) ähneln in ihrem Erscheinungsbild Krebsvorstufen an der Vulva. Der Leiter des Labors für diagnostische Genomanalyse des Diagnostik- & Forschungsinstituts für Pathologie an der Med Uni Graz Karl Kashofer erklärt: "HPV-unabhängige Krebsvorstadien weisen im Gegensatz zu HPV-assoziierten Veränderungen typische Defekte in Genen wie z. B. TP53, PIK3CA oder SMARCB1 auf, die in krankhafter Form das Tumorwachstum fördern und den Effekt von Chemotherapien bei einer Antitumorbehandlung vermindern." Am Gebärmutterhals können diese hochdifferenzierten Veränderungen leicht übersehen werden, da sie zunächst wie harmlose Veränderungen aussehen und sich auch in Zellabstrichen nur schwer von gutartigen Veränderungen unterscheiden lassen. "Unsere Arbeit zeigt, dass es echte HPV-negative Krebsvorstufen am Gebärmutterhals gibt. Damit widerlegen wir auch die sogenannte 'Hit-and-run'-Theorie, wonach HPV ursprünglich an der Tumorentwicklung beteiligt war, später aber beim Tumorwachstum verloren geht", erklärt WHO-Autorin Sigrid Regauer vom Diagnostik- & Forschungsinstitut für Pathologie an der Med Uni Graz. "Wir belegen damit erstmals, dass es tatsächlich HPV-unabhängige Formen von Gebärmutterhalskrebs gibt", so die Forscherin.
Konsequenzen für Prophylaxe und Therapie
Diese neuen Erkenntnisse haben wichtige Folgen für die Praxis der Prophylaxe und Therapie von Gebärmutterhalskrebs und seinen Vorstufen, insbesondere für Frauen, deren Immunsystem frühe Stadien der Erkrankung nicht effektiv kontrollieren kann. "Bisher beugen wir durch die HPV-Impfung dem HPV-assoziierten Krebs vor, indem die HPV-Infektion verhindert wird. Zukünftig könnten die frühesten Krebsvorstadien der dünnen HSIL durch therapeutische HPV-spezifische Zervixkarzinomimpfstoffe zur Rückbildung gebracht werden. HPV-unabhängige Karzinome sind aufgrund ihrer spezifischen Gendefekte hingegen Kandidaten für die neuen molekularbiologischen Therapien, auch als zielgerichtete Therapien ('targeted therapies') bezeichnet. Mit ihnen verbindet sich die Hoffnung, einerseits die HPV-unabhängig entstandenen Krebszellen im Gebärmutterhals wirkungsvoll aufhalten zu können und andererseits weniger Nebenwirkungen in Kauf nehmen zu müssen", so Olaf Reich.
Weitere Informationen und Kontakt: Univ.-Prof. Dr. Olaf Reich Klinische Abteilung für Gynäkologie Medizinische Universität Graz Tel.: +43-316 38581616 olaf.reich@medunigraz.at Univ.-Prof. Dr. Sigrid Regauer Diagnostik- & Forschungsinstitut für Pathologie Medizinische Universität Graz Tel.: +43 316 385 71728 sigrid.regauer@medunigraz.at Research Prof. PD Mag. Mag. Dr. Karl Kashofer Diagnostik- & Forschungsinstitut für Pathologie Medizinische Universität Graz Tel.: +43 316 385 71752 karl.kashofer@medunigraz.at
Forschungsfeld Krebsforschung
Links zu den Studien:
Copy Number Profiling Implicates Thin High-Grade Squamous Intraepithelial Lesions as a True Precursor of Cervical Human Papillomavirus-Induced Squamous Cell Cancer: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0023683724017860?via%3Dihub
The Histologic and Molecular Spectrum of Highly Differentiated HPV-independent Cervical Intraepithelial Neoplasia: https://journals.lww.com/ajsp/fulltext/2023/08000/the_histologic_and_molecular_spectrum_of_highly.11.aspx
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