Digitale Technologien in der humanitären Hilfe
Der Geoinformatiker Stefan Lang ist Experte für Erdbeobachtung und Dekan der Fakultät für Digitale und Analytische Wissenschaften (DAS) der Universität Salzburg. Er leitet das Christian Doppler Labor für Geodaten- und Erdbeobachtungs-basierte humanitäre Technologien (GEOHUM), das aus der langjährigen Kooperation mit der NGO "Ärzte ohne Grenzen" hervorgegangen ist. Kürzlich hat Lang bei den Salzburger Hochschulwochen 2025 das Thema "Digitalisierung- for good! Digitales Empowerment mit möglichen Risiken und Nebenwirkungen?" erörtert. Maria Mayer hat ihn zum Interview getroffen.
Herr Lang, Sie arbeiten eng mit "Ärzte ohne Grenzen" zusammen und stellen der Hilfsorganisation räumliche Informationen zu Flüchtlingslagern zur Verfügung, die Sie aus Satellitendaten gewinnen. Wie kann man sich das vorstellen?
Unsere Partner des CD Labors GEOHUM, Ärzte ohne Grenzen, arbeiten mit fast 70.000 Mitarbeiter*innen in 75 Ländern dieser Welt, neben den bekannten Hotspots wie Gaza und der Ukraine, auch in vielen sogenannten vergessenen Krisengebieten wie im Südsudan oder im Jemen. Zentral ist die logistische Unabhängigkeit und rasche Einsatzbereitschaft der Hilfsorganisation, wofür wiederum spezifische Informationen über die betroffene Bevölkerung eine wesentliche und oft lebensnotwendige Entscheidungsgrundlage darstellen. Hierbei geht es insbesondere um die Dimensionierung und die konkrete Lokalisierung von akuten Hilfsmaßnahmen wie Grundnahrungsmittel, Wasser etc. oder auch für präventive Maßnahmen wie Impfkampagnen zur Vermeidung von Epidemien.
Können Sie weitere konkrete Beispiele nennen?
Ein Dauerthema ist die Beobachtung von vertriebenen Menschen in Krisengebieten anhand des Anwachsens von neuen oder bestehenden Vertriebenenlagern wie z.B. in Darfur. Zunächst ungewöhnlich erscheint möglicherweise die Analyse von Gräberfeldern über Satellitentechnologie zur Beurteilung der Übersterblichkeit im Kontext von Pandemien oder Covid 19.
Welche Informationen liefern Sie "Ärzte ohne Grenzen" und welche Forschungsarbeit steckt dahinter?
Wir analysieren höchstauflösende Satellitendaten mithilfe von automatisierten Verfahren, die in unserem Labor entwickelt wurden und Expertensysteme mit KI kombinieren. Wir haben mit KI-Unterstützung zum Beispiel eine Methode zu einer deutlich verbesserten Gebäudeerkennung entwickelt. Ebenso arbeiten wir an der Verbesserung von Flutdetektion auf Basis weltweit durchgeführter Analysen. Die Informationen werden laufend aktualisiert, damit Hilfsorganisationen ihre Einsätze effizient planen, weiterentwickeln und evaluieren können.
Was leisten Ihre Daten, was Google Earth nicht kann?
Höchstauflösende Satellitenbilder erfassen tagesaktuelle Veränderungen, die in Google Earth nicht - oder nur stark verzögert - wiedergegeben werden. Die zeitliche Dimension ('Aktualität') ist die kritischste Größe im humanitären Kontext und entscheidet oft direkt über das Wohlergehen der betroffenen Menschen. Wir haben z.B. im Zusammenhang mit dem Wachstum der Camps Kutupalong in Bangladesch oder Bidi Bidi in Uganda, die zu den größten weltweit gehören, gesehen, dass diese hochdynamischen Prozesse in Google Earth lange Zeit nicht abgebildet waren.
Wer zahlt für die Daten? Und: Wer hat die Kontrolle über die Daten?
Für viele Anwendungsszenarien (z.B. Überflutungskartierung) sind frei zugängliche Daten, insbesondere die Sentinel-Daten des europäischen Erdbeobachtungsprogramms Copernicus ausreichend und passgenau. Diese werden flächendeckend weltweit erhoben und können für diese Zwecke von allen Einrichtungen und Organisationen mit einem gewissen technischen Verständnis eingesetzt werden. Für Anwendungen, die gezielte höchstauflösenden Aufnahmen benötigen, gibt es mittlerweile spezielle Abkommen zwischen Ärzte ohne Grenzen und kommerziellen Anbietern, die den Zugang zu den Daten in Krisensituationen ermöglichen. Die Kosten dafür übernehmen die Hilfsorganisationen selbst, wenn die Daten nicht in speziellem Forschungskontext oder im Zusammenhang mit der weltweiten Disaster-Charter bereitgestellt werden. Die Kontrolle über erworbene Daten liegt bei den Nutzer*innen, allerdings ist die Weitergabe und der Einsatzbereich genau geregelt.
Im Fall der humanitären Hilfe für Flüchtlinge dient die Erdbeobachtung durch Satelliten offensichtlich einem guten Zweck, "for good" wie man sagt. Trotzdem: Gibt es nicht auch hier - wie immer bei Technologien - Schattenseiten? Zum Beispiel in Bezug auf Personenüberwachung?
Mit der derzeitigen maximalen Bodenauflösung von ca. 30 cm lassen sich zunächst keine individuellen Personen identifizieren, allenfalls sehen wir große Gruppen von Menschen, was jedoch keine Rückschlüsse auf Individuen zulässt. Es geht auch mehr um die Analyse von Strukturen, die auf die Präsenz von Menschen hinweisen (Unterkünfte, Infrastruktur, etc.). Grundsätzlich ist jedoch die technische Weiterentwicklung kaum vorhersehbar und wir müssen uns durchaus mit ethischen Aspekten der Satellitenbeobachtung befassen.
"Der Krieg ist der Vater aller Dinge", hat der griechische Philosoph Heraklit gesagt. Tatsächlich standen auch am Beginn der Satellitentechnologie militärische Interessen. Die Amerikaner haben in den 1970er Jahren Satelliten gebaut, um zu beobachten, wann den Russen das Getreide ausgeht. Ist das "for good" nur ein Nebenprodukt?
Viele Bereiche der heute genutzten Technologie haben ihren Ursprung in kriegerischen Auseinandersetzungen und in der Verteidigung. Technologie ist allerdings grundsätzlich neutral zu sehen, eine Drohne kann lebensrettend sein (wie beispielsweise durch Anwendungen der Telemedizin in schwer zugänglichen Gebieten) oder zerstörerisch wirken wie in den Konfliktgebieten der Ostukraine. Das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus ist eines der ambitionierten Programme dieser Art weltweit und wurde primär für zivile Zwecke designt. Viele unserer gesellschaftlichen Probleme (von Klimawandelanpassung bis zu Biodiversität, von Katastrophenvorsorge bis zu nachhaltiger Landwirtschaft, von Verkehrsplanung bis zu Tourismus) profierten mittlerweile direkt von den Satellitendiensten in Copernicus. Es hat darüber hinaus auch ein unglaubliches Potential für die in Europa ansässigen Firmen und Start-ups zur Mehrwertgewinnung.
Sie haben einmal gesagt: "Je mehr ich mich mit den digitalen Technologien beschäftige, desto kritischer werde ich." Warum?
Was ich meine ist das Folgende: je mächtiger die digitalen Technologien vermeintlich werden, desto wichtiger ist ein kritischer Umgang damit. Das setzt ein solides technisches und methodisches Verständnis voraus. Wir müssen das Potential differenziert betrachten, sonst steuern wir nicht, sondern werden quasi überrannt. Je mehr wir mitgestalten, desto mehr können wir das Potential gezielt für den gesellschaftlichen Benefit nutzen.
Besonders skeptisch sind Sie gegenüber KI, obwohl Sie selbst über viele Jahre an der Mitentwicklung beteiligt waren. Was sind Ihre größten Sorgen?
Es ist weniger die Mächtigkeit der Technologie an sich als vielmehr der gedankenlose Umgang damit. Wir - und insbesondere die Generation unserer Kinder - werden mit der Herausforderung aufwachsen, die Möglichkeiten der KI gezielt einzusetzen, aber genauso den bewussten Verzicht zu üben, weil es eben auch eine Ressourcenfrage ist.
Was tut die Universität Salzburg, um die Studierenden zu einem reflektierten Umgang mit digitalen Technologien zu führen?
In unseren attraktiven internationalen Stipendiengängen bilden wir nicht nur die besten Köpfe aus, sondern sensibilisieren die Studierenden auch bezüglich eines verantwortungsvollen Umgangs mit der digitalen Technologie. Beispielsweise werden in dem Erasmus Mundus Joint Master Programm "Copernicus Master in Digital Earth" weltweit Stipendien vergeben, die aber in einem 'Student Agreement' auch an entsprechende Verpflichtungen geknüpft sind. Es geht darum, Technologie als Brückeninstrument für unterschiedliche Anschauungen und kulturelle Werte einzusetzen und damit globale Herausforderungen zu unterstützen. Ich bin sehr optimistisch, dass die Universität hierfür positive Impulse setzen kann und damit eine gestaltende Vorreiterrolle spielt in einer (wie auch immer gearteten) digitalen Zukunft.
KONTAKT: Assoz. Prof. Priv.-Doz. Mag. Dr. Lang Stefan Fachbereich Geoinformatik Schillerstraße 30/III 5020 Salzburg E-Mail: Stefan.Lang@plus.ac.at Tel.: +43 662 8044 7562 Mag. Susanna Graggaber Stv. Abteilungsleitung |Wissenschaftskommunikation | Forschungsberichterstattung | Events Kommunikation & Fundraising Kapitelgasse 4-6 | 5020 Salzburg | Austria Tel.: +43 662 8044-2027 www.plus.ac.at/kommunikation-und-fundraising