Chancenindex kann Risiko von Schulabbruch deutlich verringern
Die soziale Durchmischung an einer Schule hat starken Einfluss auf den Bildungserfolg. Je mehr sozial belastete Jugendliche am selben Standort unterrichtet werden, umso geringer ist dort die Chance auf eine Matura und umso höher das Risiko eines frühen Schulabgangs. Mehr Mittel für Brennpunktschulen, wie sie die Bundesregierung plant, können dort aber die Lernergebnisse verbessern und das Risiko von Schulabbruch verringern, zeigen zwei am Mittwoch präsentierte Studien.
Claudia Reiter vom Institut für Höhere Studien (IHS) hat analysiert, wie sich die Bildungsergebnisse von Schülerinnen und Schülern unterscheiden, die Schulen mit unterschiedlicher sozioökonomischer Durchmischung besuchen, sonst aber gleiche Startbedingungen mitbringen. Die soziale Durchmischung wurde dabei mit dem von der Arbeiterkammer (AK) entwickelten Chancenindex gemessen, der Bildungsstand der Eltern und Umgangssprache der Schüler berücksichtigt. Über einen solchen "Chancenbonus" will auch die Bundesregierung künftig mehr Ressourcen an benachteiligte Standorte verteilen.
Soziale Durchmischung ist für alle gut
Zwar seien für die Bildungskarriere die persönlichen Risikofaktoren entscheidend, betonte Reiter bei einem Online-Pressegespräch von "Diskurs. Das Wissenschaftsnetz". An Schulen mit hoher sozialer Benachteiligung sei die Wahrscheinlichkeit, maximal die Pflichtschule abzuschließen, allerdings für alle höher als an Standorten mit einem niedrigeren Chancenindex. Selbst leistungsstarke Jugendliche haben nach Besuch einer Mittelschule mit hoher Benachteiligung eine geringere Chance, später die Matura zu machen. Umgekehrt profitieren Kinder und Jugendliche von einer günstigen Schulumgebung unabhängig von ihrer eigenen Herkunft. "Wer in einer förderlichen Umgebung lernt, profitiert, in einem belasteten Umfeld steigt das Risiko - das war ganz klar in den Ergebnissen erkenntlich."
Die Strukturen in Österreich mit der frühen Aufteilung der Kinder auf Mittelschule und AHS im Alter von zehn verschärften diese soziale Ungleichheit noch weiter. So landen Kinder aus benachteiligten Familien besonders oft an Schulen mit hohem Förderbedarf, sind aber gleichzeitig besonders anfällig für deren negative Effekte. Jugendliche aus privilegierteren Familien sind hingegen auch bei Besuch einer Schule, an der viele Jugendliche Eltern mit geringer Bildung haben und eine andere Umgangssprache als Deutsch sprechen, deutlich öfter erfolgreich. Dazu komme: "Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene sehen wir, dass eine größere Durchmischung sich eindeutig positiv auf den Bildungsstand der gesamten Bevölkerung auswirken würde", so Reiter.
Chancenindex als Hebel für bessere Durchmischung
Laut Philipp Schnell vom Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung (öibf) kann es auch zu einer besseren sozialen Durchmischung an den Schulen führen, wenn Standorte mit besonderen Herausforderungen etwa mehr Personal und bessere Ausstattung bekommen. "Dann wird das sehr wohl auch ein attraktiver Standort für Eltern aus der Mittelschicht und höher", verwies er auf Ergebnisse vor allem qualitativer Studien aus anderen Ländern.
Evaluationsstudien aus anderen Ländern haben zudem gezeigt, dass sich dort das Lernumfeld und damit Noten und Testergebnisse der Schüler ebenso verbessert haben wie deren psychisches Wohlbefinden, Motivation und soziale Kompetenzen. Außerdem sei das Risiko eines Schulabbruchs deutlich gesenkt worden.
Kosten von Chancenindex amortisieren sich bald
Eine bedarfsorientierte Schulfinanzierung würde sich laut Schnell aber nicht nur pädagogisch, sondern auch wirtschaftlich auszahlen - und das sei gerade in Zeiten knapper Budgets relevant. In Österreich verlassen laut Reiters Studie rund ein Drittel der Jugendlichen an Mittelschulen in schwieriger Lage vorzeitig das Bildungssystem, das sind dreimal so viele wie im Österreich-Schnitt. Laut einer von Schnell zitierten Studie des Soziologen Johan Bacher entstehen hierzulande durch frühe Schulabgänger von 18 bis 24 Jahren pro Jahr fiskalische Kosten von 460 Mio. Euro.
Im belgischen Flandern etwa wurde nach Einführung einer bedarfsorientierten Schulfinanzierung die Zahl der frühen Schulabgänger an Schulen in schwieriger Lage halbiert. Sollte das auch in Österreich gelingen, würden laut Schnell die Kosten für den Staat mittelfristig um die Hälfte reduziert. Wird die Zahl der frühen Schulabgänger um nur ein Viertel verringert, sinken die Kosten um 25 Prozent. Die Einsparungen würden demnach innerhalb von vier bzw. acht Jahren die Ausgaben für den Chancenindex übersteigen.
Um die Bildungschancen künftig fairer zu verteilen, bräuchte es laut IHS-Forscherin Reiter neben einem Chancenindex auch eine durchdachte Schulplanung, die die soziale Durchmischung besser fördert, und mehr Durchlässigkeit zwischen den Schulformen.