Wie sich Blutgefäße in der Schwangerschaft anpassen: Neue Zellmechanismen entdeckt
Während der Schwangerschaft durchläuft das Herz-Kreislauf-System der Frau tiefgreifende funktionelle und strukturelle Anpassungen. Diese Veränderungen sichern die Versorgung von Fötus und Plazenta, stellen aber gleichzeitig hohe Anforderungen an das mütterliche Gefäßsystem. Eine aktuelle Studie unter der Leitung von Ursula Hiden und Evelyn Jantscher-Krenn von der Medizinischen Universität Graz, veröffentlicht im Journal of Physiology, beleuchtet erstmals im Detail, wie sich eine spezielle Gruppe von Zellen, die sogenannten endothelialen Kolonie bildenden Zellen (Endothelial Colony Forming Cells, ECFCs), im Verlauf der Schwangerschaft verändert. Besonderes Augenmerk lag dabei auf dem Einfluss von Stoffwechsel, Entzündung und dem fötalen Geschlecht.
Endotheliale Vorläuferzellen - Schlüsselakteurinnen bei der Anpassung des Gefäßsystems
Endotheliale Vorläuferzellen zirkulieren im Blut und tragen zur Reparatur sowie zur Neubildung von Blutgefäßen bei. ECFCs stellen eine Untergruppe dar, die - aus dem Blut isoliert - in der Zellkultur charakteristische Kolonien bildet. Während ihre diagnostische und therapeutische Bedeutung im Bereich von Herz-Kreislauf-Erkrankungen intensiv erforscht wird, ist über ihre Rolle in der Schwangerschaft bislang wenig bekannt.
In der nun veröffentlichten Studie untersuchte die Erstautorin Marie-Therese Weiser-Fuchs ECFCs aus dem Blut gesunder Frauen in drei unterschiedlichen physiologischen Stadien: nicht-schwangere Frauen, Frauen in der Frühschwangerschaft und Frauen in der Spätschwangerschaft. Die Proben wurden unter anderem im Rahmen der PregWin-Kohortenstudie gewonnen, eines translationalen Forschungsprojekts am LKH-Universitätsklinikum Graz, das es ermöglicht, komplexe Veränderungen im Schwangerschaftsverlauf vorausschauend zu untersuchen.
Zellwachstum und Zellform - deutliche Unterschiede je nach Schwangerschaftsstadium
"Bei der Kultivierung der ECFCs zeigten sich deutliche Unterschiede im Zellwachstum, je nachdem, in welcher Schwangerschaftsphase die Zellen isoliert wurden. In der Spätschwangerschaft war die Erfolgsrate der ECFC-Isolierung mit 61 % am höchsten und es entstanden auch mehr Zellkolonien pro Milliliter Blut", führt Marie-Therese Weiser-Fuchs ihre Forschung aus. Zudem benötigten ECFCs aus der Spätschwangerschaft weniger Zeit bis zur Koloniebildung und Ausbildung eines sogenannten konfluenten Monolayers, also einer vollständigen Bedeckung der Wachstumsfläche durch die kultivierten Zellen, was auf eine gesteigerte Mobilisierung und schnelleres Wachstum von ECFCs in diesem Stadium hindeutet.
Mikroskopisch zeigten sich je nach Schwangerschaftsstatus deutliche Unterschiede in der Form der Zellen: Während die ECFCs nicht-schwangerer Frauen eine spindelförmige, verlängerte Form aufwiesen, dominierten bei schwangeren Frauen, besonders in der Spätschwangerschaft, rundere, vieleckige Zellformen. Diese Unterschiede könnten für ihre Funktion bedeutend sein, beispielsweise als Hinweis auf unterschiedliche Aktivierungszustände oder eine Art "zelluläres Gedächtnis" an die Umgebung.
Stoffwechsel, Inflammation und fötales Geschlecht beeinflussen ECFC-Verhalten
Darüber hinaus zeigten sich signifikante Zusammenhänge zwischen dem Wachstum von ECFCs und metabolischen sowie entzündlichen Parametern: Eine stärkere Koloniebildung war mit erhöhten Lipidwerten (Cholesterin, Triglyceride) und Entzündungsmarkern (IL-6, E-Selectin) assoziiert. Diese Ergebnisse legen nahe, dass ECFCs nicht nur durch lokale Reize in den Blutgefäßen, sondern auch durch systemische Faktoren beeinflusst werden.
"Besonders interessant war der Einfluss des fötalen Geschlechts: In der Frühschwangerschaft gelang die Isolierung von ECFCs aus mütterlichem Blut häufiger, wenn die Frau ein Mädchen erwartete. In der Spätschwangerschaft hingegen war eine höhere ECFC-Aktivität mit männlichen Feten assoziiert. Dieser bisher nicht beschriebene Zusammenhang deutet auf eine geschlechtsspezifische Steuerung des mütterlichen Gefäßsystems hin, die möglicherweise durch Unterschiede im plazentaren Sekretom vermittelt wird", erklärt Marie-Therese Weiser-Fuchs. Das plazentare Sekretom bezeichnet die Gesamtheit an Stoffen, die von der Plazenta abgegeben werden.
Weiters erklärt die Forscherin: "In unsere Analysen haben wir auch eine kleine Gruppe von Frauen mit Gestationsdiabetes eingeschlossen. Bei ihnen zeigte sich eine deutlich gesteigerte ECFC-Koloniebildung im Vergleich zu gesunden Kontrollschwangerschaften. Dies könnte auf eine kompensatorische (also ausgleichende) Aktivierung des Reparatursystems der Gefäße hinweisen." Die Daten liefern somit neue Anhaltspunkte für das Verständnis von Anpassungsmechanismen des Blutgefäßsystems in Risikoschwangerschaften.
Fazit: Neue Einblicke in die vaskuläre Plastizität der Schwangerschaft
Die Studie zeigt, wie dynamisch und präzise gesteuert Umstrukturierungsprozesse des Gefäßsystems während der Schwangerschaft ablaufen. Bemerkenswert ist, dass die "Programmierung" der ECFCs durch metabolische und entzündliche Veränderungen während der Schwangerschaft auch nach der Isolierung der Zellen in der Kultur fortbesteht. Dieses zelluläre Gedächtnis könnte künftig klinisch genutzt werden. ECFCs haben das Potenzial, sich als sensitive Marker für die Anpassungsprozesse des mütterlichen Gefäßsystems zu etablieren, und könnten somit zur frühzeitigen Erkennung von Risikoschwangerschaften beitragen. Ein tieferes Verständnis ihrer Regulation könnte zudem neue therapeutische Ansätze zur Prävention und Behandlung schwangerschaftsassoziierter Komplikationen wie Präeklampsie oder Gestationsdiabetes eröffnen.
Link zur Studie: https://physoc.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1113/JP288038
Rückfragehinweis: Marie-Therese Weiser-Fuchs, BSc, MSc Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Medizinische Universität Graz Tel.: +43 316 385 26115 marie.fuchs@medunigraz.at