"Wir wollen nicht in Krankheit alt werden, sondern gesund"
"Gesund Altern" statt länger krank leben: Wie man diese Entwicklung fördern kann, untersuchen die Grazer Forscher Thomas Pieber und Frank Madeo im Exzellenzcluster Metabolic Control of Aging and Disease (MetAGE). Der Cluster ist Teil der vom Wissenschaftsministerium initiierten Exzellenzinitiative, die über den Wissenschaftsfonds FWF abgewickelt wird. Insgesamt stehen seitens des Ministeriums 223,7 Mio. Euro für exzellente, kooperative Forschungsprojekte im Rahmen der Exzellenzinitiative zur Verfügung. Im Gespräch mit APA-Science sprechen Pieber und Madeo über effektivere Reparaturmechanismen und welche Rolle Fasten dabei spielt.
APA-Science: In einem wissenschaftlichen Artikel erklärt Frank Madeo: Das Phänomen des Alterns ist ein wesentlicher Bestandteil des Lebens. Gibt es Mechanismen im menschlichen Körper mit seinen 75 Billionen Zellen, die das Altern beeinflussen können, also beschleunigen oder bremsen?
Thomas Pieber: Sobald eine Zelle oder ein neues Lebewesen entsteht, setzt parallel zum Aufbau des Lebens auch schon der Alterungsprozess ein. In der Evolution sind deshalb zur Erhaltung des Lebens unzählige Mechanismen eingebaut worden, die einem zu schnellem Alterungsprozess entgegenwirken. Auch wir Menschen haben in unserem gesamten biologischen System ein Gegengewicht zum Alterungsprozess. Durch unsere Forschung wollen wir diese Mechanismen besser verstehen und versuchen, sie uns nutzbar zu machen, um den Alterungsprozess zu modifizieren.
APA-Science: Mit welchem Ziel: Die Lebensspanne zu verlängern?
Pieber: Vor allem, die gesunde Lebensspanne zu verlängern und so etwas wie "gesundes Altern" zu bewirken. Unser Ziel ist, den Anteil der Menschen, die an einem gesunden Alterungsprozess teilhaben können, zu erhöhen. Wir haben auf der ganzen Welt zwar eine steigende Lebenserwartung, aber man muss sie von gesunder Lebenserwartung auseinanderhalten. Wir wollen ja nicht in Krankheit alt werden und länger mit diversen chronischen Krankheiten leben.
Frank Madeo: Je älter wir werden, desto mehr Gewicht legen wir zu - dies gilt für fast alle Menschen. Übergewicht führt zu schlechterer Mobilität und diese ist selbst ein Alterungsbeschleuniger, was einen Teufelskreis darstellt. Der Excellenzcluster MetAGE bietet die einzigartige Chance, diesen Teufelskreis besser zu verstehen und zu unterbrechen.
APA-Science: Sie wollen also bewirken, dass diese gesunden Prozesse länger anhalten und Reparaturmechanismen ein bisschen effektiver sind?
Pieber: Ja genau, das ist das konkrete Ziel von MetAGE und vielen anderen internationalen Forschergruppen. Wir müssen diese Prozesse zunächst einmal grundlegend verstehen, dann wissen wir, wie wir die Zellerneuerung verbessern könnten. Wir haben in unserer Lebensspanne ja sehr viel Regeneration: Zellen etwa in der Leber, den Nieren, der Haut und im Blut erfüllen ihre Funktion und müssen dann irgendwann erneuert werden. Dieser Erneuerungsprozess ist sehr geregelt, indem die Zelle, die nicht mehr gut funktioniert, erkannt wird und sich durch kontrollierten Zelltod, den man "Apoptose" nennt, selbst ausschaltet. Sie wird anschließend durch eine neue Zelle ersetzt. Das Ganze muss quasi unmerklich passieren. Dieser Regenerationsprozess ist einer der Schlüsselprozesse, den wir uns ansehen, um schließlich die Regenerationsfähigkeit verbessern zu können.
APA-Science: Verändert das Altern umgekehrt die Stoffwechselprozesse im Körper und den Zellen? Gibt es zum Beispiel Mechanismen, die dem Körper sagen: Du bist jetzt 60 Jahre alt und musst diesen und jenen Stoffwechsel haben, und nicht mehr den eines 20-jährigen?
Pieber: Die gibt es tatsächlich. Es gibt einen Alterungsprozess, der durch das Leben von sich aus ausgelöst wird. Er wird durch schädliche kosmische Strahlung verstärkt, durch das UV-Licht der Sonne und Abnutzung. Auch bei der Verdopplung der DNA im Zellwachstum kommen immer wieder Fehler vor. In der modernen Zeit kamen schädliche Substanzen aus der Umweltbelastung dazu, zum Beispiel Feinstaub in der Luft, Mikroplastik und verschiedene Toxine (Giftstoffe, Anm.). Auch solche Belastungen wirken dem Regenerationsprozess entgegen.
APA-Science: Und sie wollen diesen Regenerationsprozess stärken und optimieren?
Pieber: Genau, damit wir eine längere gesunde Lebensspanne gewinnen.
APA-Science: Wie könnte das funktionieren?
Pieber: Ein ganz wichtiger Regulator ist die Energiebilanz des Körpers. In unserer ganzen Evolution war nicht Überfluss der Antreiber von Weiterentwicklung, sondern Ressourcenknappheit. Wir Menschen haben einen wunderbaren Organismus, der den Energiehaushalt optimiert hat. Mindestens dreimal in der menschlichen Entwicklungsgeschichte waren die Nahrungsmittel so knapp, dass wir beinahe ausgestorben wären. Das weiß man, weil diese Perioden Spuren auf unserem Erbgut hinterlassen haben. Diese Optimierung fällt uns jetzt aber auf den Kopf. Heutzutage haben wir in den Industriestaaten, Schwellenländern und teils sogar Entwicklungsländern einen Überfluss an Nahrungsmitteln und der Energiezufuhr. Das bringt uns unweigerlich das Problem des Übergewichts. Dieses beschleunigt, wie zuvor erwähnt, wiederum den Alterungsprozess und fördert die sogenannten modernen Zivilisationskrankheiten. Wir haben in Österreich und der gesamten westlichen Welt zwar eine höhere Lebenserwartung als früher, aber keine höhere gesunde Lebenserwartung.
APA-Science: Was kann man dagegen tun - einfach weniger essen?
Pieber: Es klingt am Anfang ein bisschen paradox, aber eine vorübergehende Energieknappheit, die nicht zu groß, zu lange, und zu ausgeprägt ist, führt zu einer Verbesserung des Stoffwechsels und nicht zu einer Verschlechterung. Diese kann man mittels Fastens bewirken. Unser Organismus funktioniert also besser, wenn wir nicht dauernd Energie zuführen.
APA-Science: Kann man also selbst bei Idealgewicht, wenn man regelmäßig fastet, also teilweise sogar so etwas wie Mangelernährung herbeiführt, das gesunde Altern verbessern?
Pieber: So ist es auf den Punkt gebracht! Ein Mensch der normalgewichtig ist und regelmäßig isst, ist weniger "stoffwechselgesund" als jemand, der ab und an Fastenzeiten einlegt.
APA-Science: Was passiert beim Energiemangel durch Fasten im Körper?
Pieber: Wenn man 14 bis 24 Stunden fastet, verändert sich der Stoffwechsel grundlegend. Die einzelnen Zellen nutzen zunächst einmal die Überbleibsel, die sie gehortet haben. Sie besitzen so etwas wie Müllsäcke, und zwar kleine, von Membranen umhüllte Körperchen, die man "Autophagosomen" nennt. Darin werden fehlerhafte Eiweißstoffe und schädliche Stoffwechselprodukte verpackt. Diese Müllsäcke verschmelzen dann mit den "Lysosomen", dem Magen der Zelle, welcher den Müll quasi verbrennt, um so Energie zu gewinnen. Diesen Prozess nennt man "Autophagie". Zusätzlich wird eine Regeneration der Mitochondrien ausgelöst - diese Organellen sind die "Kraftwerke" in den Zellen und zentral für den Energiestoffwechsel. In Versuchen hat sich gezeigt, dass das Anstoßen der Autophagie, also dieser Selbstreinigung in den Zellen, bei Hefen, Würmern, Fruchtfliegen und Mäusen lebensverlängernd wirkt.
APA-Science: Bei Menschen ist dies wahrscheinlich nicht anders, oder?
Pieber: Genau, wir sind da wahrscheinlich keine Ausnahme. Es ist wohl kein Zufall, dass Fasten in jeder Weltreligion ein Teil des Lebensrhythmus ist. Im Christentum, dem Islam und Buddhismus gibt es beispielsweise überall Phasen, wo man sich aus religiösen Aspekten eine Reduktion der Kalorienzufuhr auferlegt, was sehr oft mit einem Selbstreinigungsprozess assoziiert ist. Darin liegt also faszinierenderweise ein Körnchen Wahrheit. Diese Selbstreinigung spielt tatsächlich in der Molekularbiologie und der Grundlagenforschung des Alterns eine entscheidende Rolle.
APA-Science: Kann die Grundlagen- und medizinische Forschung schon beantworten, wie genau man fasten sollte?
Pieber: Hier gibt es noch viele offene Forschungsfragen. Zum Beispiel, wie oft man fasten sollte, und ob es besser ist, 16 oder 24 Stunden Null Kalorien zuzuführen, oder man etwa auch ein paar Hundert Kalorien essen darf. Ob man besser ein Frühstück zu sich nimmt und den Rest des Tages fastet, oder überhaupt erst am Abend essen sollte. Es ist auch noch nicht klar, ob man leichter mit Fastenperioden dauerhaft Gewicht abnimmt, oder bei Diäten mit Kalorienrestriktionen. Es gibt hierfür viele Vermutungen und Einzelbeobachtungen, die aber noch kein schlüssiges Bild ergeben.
Es gibt auch bei Mensch und Tier unterschiedliche "Chronotypen", also etwa die sogenannten Morgen- und Abendmenschen. Vielleicht brauchen diese sogar unterschiedliche Empfehlungen.
APA-Science: Kann man die Alterungsprozesse auch mit Nahrungsergänzungsmitteln und pharmazeutischen Interventionen verändern.
Pieber: Wir Menschen hätten natürlich gerne irgendeinen Trick, zum Beispiel ein Nahrungsergänzungsmittel, mit dem man sich das etwas mühsamere Fasten sparen könnte, für das man doch einige Motivation und Selbstdisziplin aufbringen muss. Wir wissen, dass Autophagie nicht nur durch Fasten, sondern auch durch gewisse Substanzen wie Spermidin ausgelöst wird. Wir wissen aber nicht, ob die Prozesse dabei wirklich identisch sind, oder vielleicht sogar eine Kombination von beiden besonders günstig wäre. Das sind genau die Fragen, die wir uns anschauen.
Falls eine solche Substanz tatsächlich Autophagie-Prozesse stärkt, verbessert oder beschleunigt, dann wäre der nächste Schritt daraus ein Medikament zu entwickeln, um damit Alterungsprozesse womöglich günstig beeinflussen. Zum Beispiel in der Muskulatur, beim Herzen gegen Herzschwäche und im Gehirn gegen Demenzerkrankungen.
APA-Science: Weiß man, wie sehr das Altern von der Vererbung und wie sehr von der Umwelt beeinflusst ist?
Pieber: Es gibt einerseits ein "Startkapital", das wir als Individuen über unser Erbgut mitbekommen, das wir aber stark über unseren Lebensstil beeinflussen können. Es ist sicher nicht alles vorherbestimmt, sondern Genom und Umwelt interagieren in einem hochkomplexen System. Eine ungesunde Ernährung kann Alterungsprozesse negativ beeinflussen, und es gibt Hinweise, dass dies auch etwa durch Umweltgifte und Feinstaubbelastung passiert. Übergewicht ist sicher eines der größten Probleme. Wir können aufgrund fantastischer zivilisatorischer Leistungen saubere Lebensmittel ohne krankmachende Keime herstellen, früher waren Infektionen über Lebensmittel ein Dauerthema, das ist bei uns heute passé.
Madeo: Aber leider werden immer mehr vorgefertigte Lebensmittel produziert, welche verschiedenste, mitunter ungesunde Beimengungen wie Geschmacksverstärker, Zucker, Weichmacher und Konservierungsstoffe enthalten. Ihre Zusammensetzung und Chemie sind anscheinend so ungesund geartet, dass sie uns in Übergewicht treibt, das wiederum Mitschuld an einer Verkürzung der Lebenserwartung hat.
APA-Science: Wie sehr beeinflusst die Menge an Bewegung die Selbstreinigungsprozesse in den Zellen und das Altern, also ob jemand ein Couch-Potato ist oder hochintensiv Sport betreibt?
Pieber: Dies spielt natürlich eine große Rolle. Die Hälfte unseres Körpergewichts ist als Skelett und Muskelsystem dazu da, dass wir uns in verschiedenster Art bewegen. Wenn wir dies nur mehr sehr wenig tun, hat es massive Auswirkungen auf den gesamten Stoffwechsel. Muskelgewebe ist ein wichtiger Energieverbraucher, aber auch ein wichtiger Regulator, wie die Energie genutzt wird. Neben gesundem Essen ist daher körperliche Bewegung essenziell. Wir wissen, dass regelmäßige Bewegung als Alzheimer- und Diabetes-Prophylaxe (Vorbeugung, Anm.) wirkt. Freilich auch gegen Übergewicht.
Wir haben heute leider eine "adiposogene" (Fettleibigkeit-begünstigende, Anm.) Umwelt, die es leicht macht, wenig Kalorien zu verbrauchen. Schulweg und Einkauf werden nicht mehr zu Fuß sondern mit dem Auto erledigt, in jedem Haus mit mehr als einem Stockwerk gibt es einen Lift und im öffentlichen Bereich Rolltreppen. Wir haben praktisch auch ständig die Möglichkeit, irgendwelche delikat verpackten, aber ungesunden Lebensmittel zu konsumieren. Die Bequemlichkeit wird gefördert, was das tägliche Leben angenehm macht, aber immer dazu führt, dass wir uns zu wenig bewegen und ungesund essen. Das führt in eine Übergewichts-Spirale, gegen die wir eher als Gesellschaft gegensteuern müssen, als medizinisch.
Das Gespräch führte Jochen Stadler/APA-Science
Zu den Personen
Frank Madeo ist Molekularbiologe und forscht am Institut für Molekulare Biowissenschaften der Universität Graz. Er leitet den Exzellenzcluster Metabolic Control of Aging and Disease (MetAGE). Der Cluster ist Teil der vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung initiierten Exzellenzinitiative, die über den Wissenschaftsfonds FWF abgewickelt wird. Madeo hat Spermidin als erste nicht giftige Substanz identifiziert, welche in Säugetieren die Lebens- und Gesundheitsspanne verlängert. Thomas Pieber leitet die Klinische Abteilung für Endokrinologie und Diabetologie an der Medizinischen Universität Graz. Er führt in dem Projekt die klinischen Tests durch, wie gezielte Interventionen in der Ernährung gesundes Altern fördern könnten. Das Board of Directors umfasst Brigitte Pertschy (Universität Graz), Thomas Pieber (Medizinische Universität Graz), Frank Madeo (Director of Research, Universität Graz), Thomas Scherer (Medizinische Universität Wien), Martina Schweiger (Universität Graz), Gernot Faustmann (Universität Graz) und Sabrina Zimmermann (Universität Graz).
(Dies ist eine entgeltliche Veröffentlichung des BMBWF im Rahmen einer Medienkooperation. Die redaktionelle Letztverantwortung liegt bei APA-Science.)